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Diät? Nein danke.

Keiner sagt mir – ein Brief an Kathi und Melanie

Keiner hat mir zu sagen, wie ich seiner Meinung nach auszusehen habe. Sollte mich die Meinung wirklich interessieren, frage ich schon nach. (c) Rhea Krcmarova
Keiner hat mir zu sagen, wie ich seiner Meinung nach auszusehen habe. Sollte mich die Meinung wirklich interessieren, frage ich schon nach. (c) Rhea Krcmarova

WTF*-Moment Nummer eins: Ich gehe zur Geburtstagsparty einer Frau, die ich für eine gute Freundin halte. Besagte Freundin ist lieb wie immer, eine ältere, schlanke Partybesucherin benimmt sich mir gegenüber seltsam kühl. Ich nehme es ihr nicht übel, es muss mich ja nicht jeder mögen. Einige Monate bekomme ich eine Facebook-Konversation zwischen meiner Freudin und der älteren Frau zugespielt, in der es um jenen Abend geht. Die Ältere (übrigens eine Psychotherapeutin mit eigener Praxis) und meine „Freundin“ lästern über mich auf eine Art, wie ich es noch nie erlebt habe. Phrasen wie „dicke Dita“ und „eine Zeitbombe, sozial total unangepasst, narzisstisch-exhibitorisch“ fliegen hin und her (ich schriebe nur deshalb mit, weil ich gerade Material für meinen Roman sammle). Die Therapeutin ätzt: „Solche Weiber verletzen eben soziale Angeppastheit, das mag ich nicht. Wenn man so aussieht wie sie … ein starkes Stück, denn das ist ist schon auch nicht normen-konform, diese Ausmasse“. Meine Freundin antwortet: „Eine totale Selbstüberschätzung, und wie wird man so dick und denkt noch, dass das schön ist?“ Daraufhin die Ältere: „Sie posiert, ist künstlich wie eine lebende Installation, eine aktionistische Performance … als Frau geht es eher schon ins Genre Perversion.“ Mein „Vergehen“ an jenem Abend? Ein etwas burlesque-inspiriertes Styling (bei weitem nicht das auffälligste Outfit des Abends, übrigens) und ein kurzer, freundlicher Wortwechsel dem Freund der „Freundin“, den ich von der Kunstuni kenne.

Als ich die Freunschaft für beendet erkläre, stellt meine „Freundin“ sich als Opfer dar. Sie könne ja gar nichts für ihre Bosheiten, sagt sie, meine Figur hätte einfach etwas in ihr „getriggert“, und alles sei deshalb nur meine Schuld. (*WTF – Abkürzung für what the f**k, in etwa: was zum Teufel soll das?)

WTF-Moment Nummer zwei: Ich gehe die Ubahnpassage am Praterstern entlang, in Richtung Treppe, als sich eine Frau mittleren Alters vor mir aufpflanzt, und mich mit durch die Unterführung hallender Stimme fragt, ob ich nicht finde, dass mein (knielanger) Rock nicht viel zu kurz sei für meine fetten Beine. Als ich mich umdrehe, um wortlos auf den vormittäglichen Bahnhofsvorplatz hinaufzugehen, bemerke ich den Biergeruch, der sich mit ihrem Atem vermischt …

WTF-Moment Nummer drei: Ich stehe am Straßenrand Ecke Mollardgasse und Esterhazygasse, warte brav, bis die Fußgängerampel zu grün überwechselt. Ein Auto mit einer älteren Lenkerin fährt vorbei, sie verlangsamt, gestikuliert. Ich brauche einige Momente, um zu verstehen, dass mir die Amateurpantomimin klarmachen will, dass sie mein Outfit unmöglich findet …

WTF-Moment Nummer vier: Ich (Mitte 20) gehe zu einer Housewarmingparty, und beschließe, mich nicht wie üblich hinter einem meiner schwarzen Rollis und langen dunklen Röcke zu verstecken, sondern mich auffälliger anzuziehen. Mehrere Mädels sprechen mich im Laufe des Abends auf meinen Look an, und immer wieder fällt das Wort „mutig“. Ich weiß, dass sie es nett meinen, aber ich beginne mich zu fragen, warum man mich mutig nennt, wenn ich mir einfach etwas anziehe, was mir gefällt …

Speak no evil …
Speak no evil …

An sich soll dieses Blog eine positive Platform sein, für uns Plus-Size-Frauen (und natürlich auch für unsere schlankeren Schwestern, die neue Inputs und Inspirationen suchen und über runde Powerfrauen lesen wollen). Als mich Kathi und Melanie, Journalistinnen und Bloggerinnen („Du hast Post“) gefragt haben, ob ich einen Beitrag zum Thema „Keiner sagt mir, dass …“ schreiben will, habe ich beschlossen, daus meinem Modus auszubrechen. Habe begonnen, mir Gedanken zu machen. Über Momente wie die oberen, über Situationen, wo andere Leute sich ungefragt in mein Leben einmischen wollten, über Schönheitsnormen und die Mainstream-Meinung und über ungebetene Kommentare. Sicher, je stärker mein Selbstbewusstsein nach außen strahlt, desto weniger blöde Bemerkungen macht man mir ins Gesicht (ich bin in der Regel süß und entzückend, aber als Autorin habe ich eine gut geschärfte Zunge, und das spüren die Kommentierer wohl instinktiv). Ganz komme ich den Anmerkungen und Anfeindungen aber nicht aus. Ich bekomme sie dann hintenrum zu hören, als Kommentar von dritten. Ich finde sie in Medien, wo man mir in jeder einzelnen Ausgabe erklärt, dass mein Aussehen falsch ist. In Geschäften, die entweder gar keine Mode in meiner Größe führen, oder wo die Plus-Mode signifikant anders aussieht als die normalen Größen, so, als wolle keine Frau ab Größe 44 keine Pailetten oder Spitze oder feminine Schnitte (nein, liebe Designer, der Geschmack hängt nicht mit dem Gewicht zusammen). In Modekatalogen und -Zeitschriften, wo die TexterInnen immer noch mit Worten wie Problemzonen und kaschieren um sich werfen. (WTF? Der Nahe Osten ist eine Problemzone, oder Fukushima, oder meinetwegen die Krim, aber sicher nicht mein Hintern oder andere Körperteile. Ist auf meinen Oberschenklen schon mal jemand bei einem Autobombenanschlag ums Leben gekommen? Nein? Ergo: Keine Problemzone).

Traurige Tatsache: wir leben in einer Kommentierkultur, sei es privat oder im Internet, im Freundeskreis oder in den Medien. Fast alle müssen sich irgendwann anhöre, dass sie etwas falsch machen. Dass sie die falsche Figur haben, die falschen Labels tragen, die falsche Musik hören, das falsche Essen kaufen und so weiter. Besonders ärgerlich: die Kommentierer machen sich in der Regel nicht einmal die Mühe, rauszufinden, was wirklich los ist. Sie sehen, sie urteilen, sie lassen ihre Meinung ab.

Think no evil …
Think no evil …

Die Frage ist, warum viele Menschen den Drang verspüren, das Aussehen und die Gestalt und überhaupt das Leben anderer kommentieren und kritisieren zu wollen, vor allem, wenn es keine direkten Auswirklungen auf ihr eigenes Leben hat. Warum zur Hölle fühlen sich Menschen bemüßigt, in jeder einzelnen Situation ihre Senftube rauszuholen? Ist es die Angst vor allem, was anders ist, aus der Norm fällt? Arroganz und Gedankenlosigkeit? Der Irrglaube, dass man Menschen durch Beschämen und Mobbing zur dauerhafter Verhaltensänderung bringen kann? Der Wunsch, sich überlegen zu fühlen? Sicher, wir leben in einem Land mit Meinungsfreiheit, aber heißt das wirklich, dass man jedem Menschen sagen muss, was man von ihm hält, ohne sich auch nur einen Moment Gedanken zu machen, ob die Meinung das Gegenüber auch nur ansatzweise interessiert?

Das Problem an der ständigen Kommentiererei und Urteilerei ist nicht nur, dass sie entsetzlich unhöflich sind.S ie erschaffen auch ein Klima der Angst. Ein Klima, dass es Menschen schwer macht, auszuleben, wer sie wirklich sind, und sie in die Angepasstheit drängt. Ein Klima, das schadet. Und nicht nur uns dicken Mädels. Es trifft auch die dünnen, die sich als Bohnenstange titulieren lassen müssen, und Angst haben, dass ihre Beine in einem kurzen Rock als zu knochig bezeichnet werden. Es trifft die älteren, die glauben, dass Mode, die ihnen eigentlich gefallen würde, für sie Tabu ist.

Vor ein paar Jahren habe ich auf einem Ostermarkt wunderbar kitschigen Strassschmuck bewundert, als eine alte Dame neben mir zu stehen gekommen ist. Sie hat mit leuchtenden Augen ein Armband hochgehoben und es ausprobiert. Ich habe ihr gesagt, wie hübsch das Schmuckstück ist und wie gut es ihr steht. Die alte Dame hat schnell das Armband abgestreift, gemurmelt, dass sie schon viel zu alt für „sowas“ sei, und ist gegangen – man hat richtig gesehen, wie das Strahlen, dass das bunte Schmuckstück in ihr Gesicht gezaubert hat, erloschen ist. Mir tut es bis heute leid, dass ich damals zu wenig Geld mithatte – ich hätte es sonst gekauft, wäre ihr nachgelaufen und hätte es ihr geschenkt, auch auf die Gefahr hin, dass es in irgendeiner Schublade verschwindet. Wobei, vielleicht hätte sie es getragen. Hätte Freude daran gehabt. Hätte ihrem Umfeld gezeigt: ich trage, was mir gefällt, egal, was ihr denkt.

Und hätte andere damit angesteckt, und ein weiteres Zeichen gesetzt, gegen Genörgel und Urteilen und die ständige, sinnlose Kommentiererei.

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Fundstück zum Anti-Diät-Tag: Gedanken von Naomi Wolf

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„Während des letzten Jahrzehnts haben Frauen die Machtstrukturen aufgebrochen: gleichzeitig sind Essstörungen sprunghaft angestiegen, und Schönheitschirurgie wurde zum am schnellsten wachsenden Fachgebiet.

Mehr Frauen haben mehr Geld und Macht und Spielräume und rechtliche Anerkennung als wir je hatten; wenn es aber darum geht, wie wir uns körperlich empfinden, sind wir vielleicht schlimmer dran als unsere unbefreiten Großmütter.“ Autorin Naomi Wolf

Diätwerbung? Auf dieser Seite?

Als Romy, meine Romanheldin, beginnt, sich für ihr Blog nach Sponsoren umzusehen, bekommt sie als allererstes Angebote für Diätprodukte. Ironischerweise ist es genau die Art von Angebot, die ich heute in meinem Emaileingang fand – für eine Kooperation mit einer Webseite, auf der man sich ein Ebook zum Thema „Diätvergleiche“ runterladen kann. Nicht nur, dass eigentlich nur die üblichen Verdächtigen abgehandelt werden und nichts dasteht, dass man nicht schon aus tausenden Illustrierten kennt. Es fehlen auch alle Infos über Heath At Any Size, Intuitive Eating und psychologische Folgen der herrschenden Diätmentalität. Besonders irritierend: Unter anderem wird von der „The Biggest Loser“-Diät geschwärmt, und davon, wie toll und gesund diese Methode doch nicht sei.

Ich war beim Lesen der Mail wirklich überrascht, und frage mich, warum man ausgerechnet mich angeschrieben hat. Ich habe mir überlegt, der Verfasserin des Mails nur ein schnelles „nein, danke“ zu schreiben. Es ist dann aber doch ein längeres Mail geworden, und es erklärt, warum diese Seite auch in Zukunft eine diätfreie Zone bleibt.

(c) Body Love Conference
(c) Body Love Conference

Liebe Frau A.

Danke für Ihre Nachricht, aber Ihr Angebot passt einfach überhaupt nicht zu der Botschaft von Venus in echt. Die Kernaussage meines Buches und meines Blogs ist „liebe Dich und Deinen Körper, so, wie Du bist, und vergiss alle Diäten ein für alle mal.“ Als Verfechterin von „Health at Any Size“ und „Intuitive Eating“ (die ich auf der Homepage übrigens auch verlinkt habe), ist es mir immens wichtig, mich von der herrschenden Diätmentalität und dem ungesunden Druck zu distanzieren, und Frauen jeglicher Figur eine Plattform zu bieten, wo sie eben nicht schon wieder mit den üblichen Diätbotschaften bombardiert werden, die sie in anderen Medien dutzende Male pro Tag lesen und sehen müssen.

Als jemand, die es geschafft hat, sich von einer massiven Essstörung zu heilen, in die ich unter anderem durch Diäten im frühen Teenageralter gerutscht bin, empfinde ich ehrlich gesagt großes Entsetzen beim Ansehen von Diätshows wie “Biggest Loser”. Ich finde den Umgang der so genannten „Experten“ mit dicken Menschen über weite Strecken überheblich, eine große Inkompetenz beweisend und stellenweise richtig entwürdigend. Shows wie “The Biggest Loser” dienen rein zur Unterhaltung und dazu, Vorurteile gegenüber dicken Menschen noch zu verstärken. Ich schätze meine Leserinnen als Frauen mit einer hohen Informationskompetenz (oder, wie man auf Englisch sagt, “media literacy”) ein, die sich nicht vom Mäntelchen vorgeblicher “guter Absichten” blenden lassen.

Ich habe mir während auch meiner Recherche auch Zeit genommen, um zu googeln, was aus den Kandidaten von Biggest Loser geworden ist. Wenn man liest, dass ein Großteil der Exkandidaten wieder zugenommen hat und dass Ajay Rochester, die Moderatorin der australischen Version, inzwischen mindestens genauso üppig ist wie ich, kann man sich durchaus fragen, warum immer noch behauptet wird, dass die Methode auch nur ansatzweise wirksam ist. Was Ex-Kandidaten und Psychologen über die Show schreiben, ist auch eher bezeichnend.

Ich bin sicher, dass Sie im Grunde helfen wollen, und das meine ich vollkommen unzynisch und ehrlich. Sowohl meine eigene Erfahrung mit diversen Diäten als auch meine ausgiebige Recherche in Vorbereitung auf meinen Roman zeigen mir aber, dass man mit den altbekannten Methoden (über die Sie auf Ihrer Seite schreiben) nicht wirklich etwas ändern kann, dafür oft sogar nicht zu unterschätzenden Schaden anrichtet, und dass die langfristige Wirkung in der Regel minimal ist.

Mir geht es darum, neue Denk- und Lösungsansätze zum Thema zu präsentieren, über die man in den Mainstream-Medien viel zu wenig liest.

Ich finde es auch immens schade, das Thema Sport und Bewegung immer nur auf Abnehmen und Kalorien verbrennen reduziert zu sehen, anstatt es als eine wunderbare Methode zu sehen, sich in und mit seinem Körper glücklich zu fühlen, egal wieviel man wiegt. Und es irritiert mich ehrlich gesagt auch, immer nur davon zu lesen, dass alle dicken Frauen im Grunde genommen unglücklich sind und abnehmen wollen. Sie scheinen das offensichtlich auch zu glauben, sonst hätten Sie mich ja nicht angeschrieben.

Ich liebe meinen üppigen, runden, starken, gesunden, wunderbaren Körper inzwischen, genauso wie er – oder eigentlich sie – ist. Und genau deshalb habe ich meinen Roman geschrieben.

Sie können sich vorstellen, dass eine Kooperation zum gegenwärtigen Zeitpunkt für mich nicht in Frage kommt. Sollten Sie aber in Zukunft etwas machen, was in Richtung Heath at Any Size, Intuitive Eating und so weiter geht, würde ich mich aber ehrlich freuen, von Ihnen zu hören.