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Zu behaupten, Hanne Blank hätte mein Leben gerettet, ist vielleicht etwas übertrieben, aber ihr Buch Big Big Love war ein wichtiger Schritt auf meinem Weg zur Heilung. Als ich mit Anfang 20 mit PCOS (also eine Hormonstörung, die sich u.a. durch Eierstockzysten und schnelle Gewichtszunahme ausdrückt) diagnostiziert wurde, wusste ich nicht, was das eigentlich bedeutete. Meine Gynäkologin verschrieb mir die Pille, sagte mir, ich könnte wohl auf natürlichem Weg nicht schwanger werden, und das war es. Da in meinem Umfeld auch niemand Bescheid wusste und das Netz noch nicht mit medizinischen Infos vollgestopft war, nahm ich es hin, froh, dass es mir durch die Hormonbombe namens Diane zumindest psychisch ein wenig besser ging und ich nicht mehr drei Monate lang durchblutete.

Drei oder vier Jahre später, nach einem Burnout und schon auf meinem Weg aus der Essstörung und dem Selbsthass, fand ich Hanne Blanks Buch, und darin unter anderem Infos über PCOS, über den Zusammenhang mit Insulinresistenz und meinem Gewicht und mehr. Mir wurde klar, dass ich nicht alleine bin, dass zwischen 5 und 10% der Frauen unter PCOS litten. Ich fing an zu recherchieren (gottseidank hatte sich im Web in der Zwischenzeit vieles getan), mich durch dicke engliche Fachbücher durchzubeißen, und fand einen Gynäkologen, der mich von der Pille zu Progesteron wechseln ließ (Merke: wenn Du nach drei Nachmittagen im Netz mehr über deinen Zustand weißt als dein Arzt / deine Ärztin, ist es eine gute Zeit, zu gehen).

Dass sich meine Hormone inzwischen beruhigt haben, ich das Progesteron nach ein paar Jahren langsam absetzen konnte und seit einigen Jahren sogar (yep, nennen wir es ruhig ein kleines Wunder) symptomfrei bin, habe ich unter anderem Hanne Blank und ihrem wunderbaren Buch zu verdanken. Bei meiner Recherche für meinen Roman Venus in echt habe ich dann die völlig umbearbeitete Neuauflage von Big Big Love entdeckt, und Hannes neues Buch, The Unapologetic Fat Girl’s Guide to Exercise and Other Incendiary Acts (mehr darüber demnächst).

Hanne Blank ist nicht nur eine kluge, gewitzte Frau, sondern eine Denkerin, die es schafft, diverse Welten und Themen unter einen Hut zu bringen. Das merkt man auch daran, dass ihre Texte in so unterschiedlichen Zeitschriften wie dem Penthouse und dem feministischen Magazin Bitch erscheinen. Sie beschreibt sich die als eine Frau, die ihre Zeit dort verbringt, wo die Themen Körper, Selbst und Kultur einander berühren. Sie denkt darüber nach, studiert, schreibt und hält Vorträge.

Lustvoll balanciert sie zwischen Mainstream und akademischen Kreisen und über dem Abgrund zwischen Körper und Geist. Sie veröffentlichte (unter anderem) historische Werke über die (überraschend kurze) Geschichte der Heterosexualität (Straight: The Surprisingly Short History of Heterosexuality) und die der Jungfräulichkeit (Virgin: The Untouched History). Ihre Bücher zum Thema Körper und Akzeptanz The Unapologetic Fat Girl’s Guide to Exercise and Other Incendiary Acts und Big Big Love: A Sex and Relationships Guide for People of Size (and Those Who Love Them) sind inzwischen Klassiker.

Hanne lehrte lange am Institute for Teaching and Research on Women an der Towson University. Seitdem unterrichte sie an diversen Hochschulen, unter anderem Brandeis and Tufts. Zur Zeit arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit in Geschichten an der Emory University in Atlanta, Georgia.

 

bigbiglove

Erzählen Sie mir bitte von Ihrem Weg zur Selbstliebe.

Ich weiß nicht, ob ich einen habe. Bei mir ist es eher eine Kombination aus lebenslanger Verwirrung und Ärger darüber, wie ich und andere Leute behandelt wurden und werden, weil wir körperlich anders sind – einschließlich, aber nicht ausschließlich, weil wir fett sind.

Alles, was ich in Sachen Aktivismus rund um dicke Körper gemacht habe, stammt daher, weil ich frustriert und wütend darüber bin und auch nicht verstehe, warum dicke Menschen und ihre Körper so massiv mies behandelt werden.

Mich frustriert es manchmal, dass beim Thema Selbstakzeptanz oft von einer „Reise“ gesprochen wird, als wäre es eine lineare, eine gerade Bewegung, die bestimmt ist, an einem bestimmten Punkt zu enden. Das ist es nicht. Es gibt keinen magischen Ort, an dem du ankommst und wo alles wunderschön ist und wo dir nichts mehr weh tut, weil du gelernt hast, dich einfach selbst zu lieben oder zu akzeptieren. Was es gibt, ist die Möglichkeit, zu lernen, besser mit allem umzugehen, seine Grenzen besser zu setzen, sich trotz allem selbst zu respektieren und zu schätzen, und sein Leben weiterzuleben.

Statt body love bevorzugen Sie das Wort Respekt. Warum das?

Vereinfacht gesagt, weil Respekt einen weiter bringt als Liebe, und es viel realistischer ist, von sich selbst Respekt zu erwarten als Liebe. Liebe ist ein Gefühl. Man kann sich (oder jemanden anderen) nicht dazu zwingen, ein bestimmtes Gefühl zu einem bestimmten Thema und zu einem bestimmten Zeitpunkt zu empfinden. Respekt ist eine Einstellung, eine Reihe an verschiedenen Zugängen zu etwas. Man kann sich tatsächlich auf Aufforderung hin respektvoll benehmen. Man kann auch etwas respektieren, was man nicht unbedingt mag oder genießt. Viele Menschen mögen ihre Körper nicht, und wollen oder können sie nicht genießen. Das kann sie daran hindern, ihre Körper zu lieben. Respekt verlangt nicht und setzt nicht voraus, das man etwas liebt. Man kann sich und seinen Körper trotzdem respektvoll behandeln.

Was hat Sie motiviert, The Unapologetic Fat Girl’s Guide to Exercise and Other Incendiary Acts (In etwa: Ein Handbuch für Sport und andere aufwieglerische Aktionen für dicke Mädels, die sich nicht entschuldigen) zu schreiben.

Als jemand, die regelmäßig trainiert und fett ist, habe ich mir gedacht, wie nett es wäre, ein Buch zum Thema Sport zu haben, wo keine Unterstellungen über darüber gemacht würden, warum man trainiert, und das einfach nur aufmunternd und hilfreich ist. Ich habe mir auch überlegt, was für eine Art von Buch ich hilfreich gefunden hätte, als ich mit dem Sport angefangen habe.

Was für Workout haben Sie am liebsten, und warum?

Ich gehe viel, benütze einen Crosstrainer, hebe Gewichte, und manchmal schwimme ich, oder/und mache kräftigendes Yoga. Ich trainiere am liebsten alleine, und ich mag Sportarten, bei denen ich den Rest der Welt quasi meditativ ausschließen kann. Bewegungen, sie sich wiederholen, finde ich beruhigend und entspannend

unapologeticfatgirl

Welche Wörter würden Sie benützen, um sich zu beschreiben?

Weiß. Weiblich. Fett. Cisgender. Tätowiert. Femme. (Anm. Cisgender ist das Gegenteil von Transgender, also Menschen, die z.B .als Frau geboren wurden und sich auch so empfinden).

Was halten Sie vom Wörtchen fett?

Ich denke, es ist ein robustes und nützliches kleines Wort. Es hat einen so viel schlechteren Ruf, als es verdienst, weil Leute darauf bestehen, es als Beleidigung und als Waffe zu verwenden. Ich benütze es frei und akkurat und positiv, und das sollten alle tun.

Welche Frauen finden Sie inspirierend (egal ob kurvig oder nicht).

Frauen, die ihr Leben gut leben, die wild und leidenschaftlich lieben, die daran arbeiten, die Welt als einen besseren Ort zu hinterlassen, als sie ihn vorgefunden haben. Ich habe die Ehre, viele solche Frauen zu kennen. Namen aufzuzählen scheint mir zu nahe an einem Beliebtheitswettbewerb, und außerdem, die meisten Frauen, die mich inspirieren, sind keine Menschen, deren Namen jedermann kennt. Sie dürfen mir aber glauben, sie sind wundervoll.

Was sind Ihre liebsten Online-Ressourcen für Frauen, kurvig oder nicht?

Die wenigsten meiner Ressourcen sind nur für ein Geschlecht bestimmt … ich habe aber ein paar feministische Blogs ziemlich lieb: Crunk Feminism, Sociological Images – solche Sachen.

Woran arbeiten Sie gerade?

An meiner Doktorarbeit über die feministische / lesbisch-feministische Geschichte von Gesundheit. Dann an einem Nebenprojekt zur Geschichte von Trauma als Diagnose. An Essays über Feminismus und Homosexualität. An Essays über das Singen. An einem langen Essay über M.F.K. Fisher, der diesen Herbst erscheint, und ich überlege mir, begleitend Essays über Clementine Paddleford and Julia Child zu schreiben.

Wo können meine Leserinnen Sie online finden?

Am besten auf Facebook, oder meiner Homepage. Manchmal bin ich auch auf Twitter.

Gibt es noch etwas, was Ihnen in der Seele brennt und Sie meinen LeserInnen sagen wollen?

Macht, was eure Seele glücklich macht. Fett zu sein ist so ein langweiliger Grund, um es nicht wenigstens zu versuchen.

Wo sie recht hat …

2014-07-25 15.42.26