Ich mag den BIBER an sich wirklich, inklusive Delna Antias Kolumnen …
Ich mag den BIBER an sich wirklich, inklusive Delna Antias Kolumnen …

Liebe Frau Antia,

in der letzten Ausgabe der Wiener Stadtzeitung BIBER schreiben Sie eine Kolumne, in der Sie davon berichten, dass Sie wegen ihres sehr schlanken Körpers gemobbt werden. Tenor Ihres Artikels: „Inzwischen geht es den Dicken gut, und man mobbt die Dünnen.“

Zuallererst einmal: das, was man Ihnen über Ihren Körper sagt, finde ich entsetzlich. Keiner hat das Recht, solche Kommentare zu machen, und Ihren Körper zu kritisieren. Ihre Figur und Ihr Gewicht ist ganz alleine ihre Sache, und ich finde es gut, dass man das auch von schlanker Seite thematisiert.

Hier kommt allerdings auch schon mein aber: ich würde mir wirklich wünschen, zumindest ein einziges Mal einen Artikel zum Thema “stop the skinny bashing” zu lesen, ohne Phrasen wie “den Dicken gegenüber würde man solche Kommentare nie machen / die Dicken lässt man in Frieden / die Dicken werden mit Samthandschuhen angefasst.”
Wissen Sie, warum? Weil es schlicht und ergreifend nicht stimmt, und ich mich frage, wie Sie zu diesem Schluss kommen. Stimmt schon, in unserer Kultur hat das Kritisiert werden langsam auch die Dünnen erreicht, und das ist eine sehr ungute Entwicklung. Das heißt aber nicht, dass es den Dicken gut oder besser geht. Ganz im Gegenteil.

Ein paar Beispiele gefällig? Es gibt – ohne Übertreibung – hunderttausende mehr:
– Die Macherinnen der Fattitude-Doku wurden für ihre Kickstarter-Kampagne “Fattitude” für einen Dokufilm über Vorurteile in Populärmedien massiv gemobbt, bis hin zu Vergewaltigungs-Drohungen und Mordaufrufen.
– Letztes Jahr gab es auf Twitter eine Fat Shaming Week.
– Dicke Frauen verdienen bei gleicher Qualifikation weniger als schlanke
– Diverse Studien zeigen, dass viele Ärzte und PflegerInnen dicken PatientInnen massive Vorurteile gegenüber haben
– Die dicke Bloggerin und Tänzerin Ragen Chastain wurde von unbekannten mit Eiern beworfen – beim Lauftraining für den Marathon
– Nach einem Interview und Bericht über mein Buch in der Woman im Jänner hat mich eine junge Dame auf der Woman-Facebookseite als “Pottwal” bezeichnet und sich über das Lob der Unmäßigkeit aufgeregt (besonders sensibel, wenn man bedenkt, dass ich im Interview von meinem jahrelangen Kampf gegen eine Essstörung erzählt habe).
– Alle meine molligen und dicken Freundinnen berichten von einem ungebrochenem Strom an dummen Kommentaren und Aggression ihren Körpern gegenüber.
– Noch mehr WTF-Momente, die mir selbst widerfahren sind, finden Sie in diesem Blogpost. Und die Liste ließe sich fortsetzen. Ganz ehrlich, wenn das Samthandschuhe sind, möchte nicht wissen, wie man Dicke barhändig behandelt …

Dazu kommt, dass Dicke in der medialen Öffentlichkeit nur ganz am Rande vorkommen, sieht man von solchen menschenverachtenden Shows wie Biggest Loser und dicken Sozialhilfeempfängerinnen in Realityshows ab. Sicher, es gibt ein oder zwei Sängerinnen und zwei, drei Komikerinnen, aber das war es auch schon. Romantische Heldinnen oder Actionfilmheroinen oder meinetwegen fiese Fashionredakteurinnen jenseits von Größe 44? Fehlanzeige. Plus-Models, die mehr als Größe 42 haben? Sind immer noch eine ziemliche Ausnahme. Und nicht, dass es in keine interessanten dicken Frauen gibt, sie werden von den Medien bloß hartnäckig ignoriert. Wann haben Sie das letzte Mal eine Frau mit Größe 50 am Cover von Vogue oder Elle oder meinetwegen der Wienerin gesehen?

Und warum finden sich eigentlich auch im Biber so gut wie nie Frauen mit meiner Kleidergröße? In der Ausgabe, in der Sie ihre Kolumne mit „Alles dreht sich um die Dicken“ betitelt haben, war KEIN EINZIGES Bild einer Frau jenseits von Größe 40. (Ironisch, oder?) Und auch sonst tut sich der Biber nicht gerade als size friendly hervor. Ich bin BIBER-Fan seit der ersten Nummer und lese so gut wie jede Ausgabe, aber ich kann mich an kein einziges Modeshooting mit einer Plus Size Frau erinnern, an keinen einzigen Shoppingtipp für größere Größen, an keine einzige Erwähnung eines Plus Size Blogs … (dabei sind wir dicken Mädels auch nicht anders. Wir lieben Mode und Schuhe und Romanzen und Abenteuer und Reisen und eigentlich alles, was die Dünnen auch mögen). Es gab ein oder zwei Texte von Menerva Hamadi, die das Thema irgendwie streiften, und das war es schon. In all den Jahren, in denen es den Biber gibt, waren Dicke so gut wie unsichtbar. Wie war das nochmal von wegen „alles dreht sich um die Dicken?“
Abgesehen davon: Phrasen wie “Haltet die fette Pappen”, das Wort Speckrollen und das unglaublich ausgelutschte Bild des trampelnden Elefanten lassen den Schluss zu, dass Ihre Samthandschuhe beim Schreiben des Artikels offenbar gerade in der Waschmaschine waren. Und nein, Diäten in diversen Zeitschriften publiziert man nicht aus Sorgen um die Dicken – schließlich weiß man seit Jahren, dass Diäten nicht funktionieren und allzuoft die Menschen in üble Essstörungen treiben. Diäten dienen eher dazu, Frauen von ihrem Körper zu entfremden, und sie klein und beschäftigt zu halten.

Wie redundant und wenig hilfreich solche “allen Dicken geht es gut und man geht auf uns Dünne los”-Texte sind, kann man auch in Lindy Wests Artikel auf jezebel.com nachlesen, der schon vor fast einem Jahr erschienen ist.

DelnaA

Ich finde es jedenfalls schade, dass Sie sich über schlechte Behandlung durch andere Frauen beschweren, es aber nicht schaffen, einen Kommentar zu schreiben, ohne selbst Gift zu versprühen. Und das dient der Sache nicht. Eine Konversation zum Thema Körperbewusstsein und Selbstliebe ist längst überfällig, vor allem in den heimischen Medien. Mit Texten wie diesen schießen Sie sich aber selbst ins Aus, was wirklich nicht sein muss – ich schätze Sie als engagierte und intelligente Journalistin, und frage mich, warum gerade jemand wie Sie einen so flapsigen, schlecht recherchierten und ziemlich undurchdachten Text zur Veröffentlichung frei gibt. Man reduziert sein eigenes Leid nicht, indem man das Leiden einer anderen Gruppe anerkennt. Im Gegenteil, es hilft einem, die Gemeinsamkeiten zu erkennen, und die Mechanismen, die dahinter stecken.

Wir leben in einer Kultur, in der Frauenkörper (und auch immer mehr Männerkörper) zum Objekt des öffentlichen Diskurses werden. Und, ja, manche Menschen (dick und dünn) reagieren auf Jahre der Kritik und Aggression ihnen gegenüber, in dem sie den Körperhass weitergeben (nochmals: das ist weder richtig noch produktiv). Wenn wir Körperhass und dumme Kommentare ein für alle Mal abschaffen wollen, müssen wir erkennen, dass wird das nur gemeinsam schaffen können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Frauen ohnehin gegeneinander aufgehetzt werden – Hausfrau gegen Karrierefrau, Inländerin gegen Migrantin, Schlanke gegen Dünne und so weiter, im Sinne des guten, alten divide et impera (teile und herrsche)-Prinzips. Das muss aber nicht sein. Ich war vor einem Monat in Tucson, Arizona, als einzige Europäerin bei der Body Love Conference, wo über 400 Frauen aller Figurentypen und Ethnien und Altergruppen sich über neue Strategien zum Thema body awareness ausgetauscht haben. Und ich finde, es wird höchste Zeit, dass man auch hierzulande beginnt, über das Thema zu diskutieren und neue Strategien zu entwickeln. Gemeinsam.

Schaffen Sie es, sich von Ihren Vorurteilen zu lösen und with an open mind auf das Thema Körperdiskriminierung und Selbstliebe zuzugehen? Ich habe vollstes Vertrauen in Sie, Frau Antia, und freue mich auf einen offenen, konstruktiven Dialog.