Eine neue Post-Kategorie auf venusinecht.com: Girlcrush, eine Serie von Portraits und Interviews mit Frauen, deren Arbeit oder/und Leben ich spannend und inspirierend finde – Künstlerinnen, Coaches, Aktivistinnen, Bloggerinnen und mehr. Ich möchte den Schwerpunkt zwar eher auf Plus-Size-Damen legen, auch, weil sie in den Medien immer noch viel zu wenig auftauchen. Interviews und Portraits unserer schlankeren Schwestern dürfen aber trotzdem nicht fehlen. Fabelhaft sein hängt schließlich nicht von der Kleidergröße ab.

Ich freue mich, mit einem Interview mit Tanja Marfo anfangen zu können. Wer die Powerfrau als Plus-Size-Expertin bezeichnet, liegt nicht falsch. Die engagierte 34-jährige ist nicht nur die Frau hinter der erfolgreichen Plattform Kurvenrausch Hamburg, sie ist auch Visagistin, Aktivistin und die Organisatorin der Kurvenrausch Fashion Show, die heuer im September zum zweiten Mal stattfinden wird.

Tanja von Kurvenrausch Hamburg – alle Fotos (c) Tanja Marfo
Tanja von Kurvenrausch Hamburg – alle Fotos (c) Tanja Marfo

venusinecht: Dein Blog ist kein klassisches Fashionblog, sondern eine Plattform für diverse Plus-Size-Themen.

Tanja Marfo: Mir geht es eher darum, Plus-Size-Frauen mehr Gehör zu verschaffen. Ich bin jemand, die etwas erreichen und schaffen möchte, volle Power voraus.

Wie lange gibt es die Seite schon, und wie hat es angefangen?

Vor ein paar Jahren habe ich über 200 Kilo gewogen, hatte Kleidergröße Größe 62. Dann habe angefangen, mich regelmäßig zu ernähren, habe auf Größe 54 abgenommen, und die Lust am Styling wiederentdeckt. Ich dachte mir, vielleicht interessiert das Thema auch andere. Ende Jänner 2014 wurde Kurvenrausch ein Jahr alt. Ich blogge an sich schon länger, seit 2010. Zuerst habe ich nur Fotos von Plus-Size-Beautys gepostet. Dann habe ich angefangen, mich zu vernetzen, und habe festgestellt, wie spannend das ist.
Richtig gepusht hat mich eine Reise nach NY im Sommer 2013. Ich habe für die deutsche Modemarke Sheego von der Full Figured Fashion Week in Manhattan berichtet, und kam voller Kurvenpower zurück. Ich war begeistert, und dachte: „Whow, so viele Kurvenfrauen, die sich feiern und glücklich sind und toll aussehen – das will ich auch in Deutschland haben.“ Dann war ich bei der Curvy ist Sexy in Berlin, und war bitter enttäuscht – wobei die sich heuer aber schon sehr verbessert haben.

Also hast du beschlossen, deine eigene Curvy-Fashionshow zu veranstalten.

Ja, ich dachte, was in NY geht, geht sicher auch in Deutschland. Man hat mich an die neoklassizistischen Mozartsäle in Hamburg empfohlen – eine wunderschöne Location mit acht Meter hohen Räumen und Stuckdecken. Ich habe dann zu planen begonnen, und damit, Modefirmen anzuschreiben. Die fanden es gut, und haben mich unterstützt.

Der Abend war ein Riesenerfolg, und du arbeitest schon an einem Event für 2014. Wenn man sich die Fotos ansieht, merkt man, dass dir das Freude macht.

Mir ist wichtig, gute Arbeit zu machen, und dabei auch Spaß zu machen.

 

Du warst neben NY auch auf anderen Plus-Fashionshows.

Ja, ich war inzwischen zweimal in Kopenhagen, in London und bei der Pulp Fashion Show in Paris. In Paris laufen drei meiner Models mit, im Austausch kommen dann drei Französinnen zu unserer Show.

Was ist dein bestgehütetstes Stil-Geheimnis?

Ich gehe nie ohne Shapewear aus dem Haus, die Beste gibt es in den USA und Großbritannien. Ich finde, es fühlt sich einfach besser an. Wir haben natürlich alle gelesen, dass Shapewear die Organe quetschen soll, also ziehe ich sie zu Hause aus. Mann kann auch nur ein Shape-Höschen tragen, oder nur Hemdchen, die unter dem BH aufhören. Das macht eine hübsche Figur, und hebt den Busen schön an. Gute Unterwäsche ist überhaupt ein Muss, das gilt für Frauen jeder Größe.

Was sind deiner Ansicht nach die Unterschiede zwischen Plus-Mode in Deutschland und im englischsprachigen Raum?

Man hat in den Shops von New York oder London viel mehr Auswahl. Ich habe hier in Hamburg zwar meine paar Läden, in denen ich einkaufe, aber wenn ich etwas Bestimmtes will, muss ich es in der Regel online bestellen. In New York habe ich bei Ashley Stewart eine schwarze Skinny Jeans anprobiert, und sie hat gepasst – dabei bin ich nicht nur üppig, sondern mit Grüße 1,86 auch ziemlich groß. Auch in London gibt es eine größere Auswahl an Schuhen als in Deutschland, sowohl von der Größe als auch preislich. Sicher, Schuhe für 30-40 Euro sind eher für eine Saison, aber es ist nett, eine Auswahl zu haben. Ich würde mir wünschen, dass in Deutschland mehr Diversität gibt, dass ich hier in einem Laden eine 38 genauso vorfinde wie eine 32 oder eine 54. Es tut sich in die Richtung immer mehr, und es gib inzwischen gute Firmen für junge Plus-Mode wie Junarose, die auch auf die Körperform schauen. Bei anderen Firmen habe ich aber manchmal den Eindruck, dass sie zwar Plus Size salonfähig machen wollen, aber statt für Plus-Figuren zu schneidern, einfach nur die Schnitte hochgradieren.

 

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Auf deiner Seite schreibst du nicht nur über Mode, sondern auch über Ernährung und Sport. Was für Workout magst du denn am liebsten?

Ich mag den Crosstrainer sehr gerne, weil ich mich richtig auspowern kann, und ich schwimme sehr gerne. Ich habe mir einen tollen neuen Badeanzug von Kiyonna gekauft, von Kingsize Queens – etwas im Monroe-Look, mit einem Röckchen, das die Obersschenkel umspielt. Ich bin schon gespannt darauf. Vor ein paar Jahren hätte ich mich noch nie ins Schwimmbad getraut. Ich hatte Angst, meine Komfortzone zu verlassen, fühlte mich beobachtet. Aber wenn man sich erst mal überwunden hat, ist es klasse, und man fühlt sich danach so gut. Ich gehe mittlerweile auch in die Sauna, nicht nackt, aber im Frottee-Saunatuch. Vor einiger Zeit war ich in einer Saunawelt bei Düsseldorf, und hatte mein Saunatuch vergessen. Zuerst war ich unsicher, aber mein Partner hat mich ermutigt, einfach ohne Tuch in die Sauna zu gehen. So einen Partner zu haben, der einen auch unterstützt, ist wichtig.

Hast du ein Lieblingswort für Plus-Size?

Kurvig höre ich gerne, aber ich finde das englische full figured auch einen netten Ausdruck. Letztens bei einem Interview wurde ich als curvaceous und voluptuous bezeichnet, das fand ich auch toll. Juicy ist auch schön.

Schöner als „vollschlank“ oder „korpulent“ …

Wir sind in Deutschland stockprüde, jedenfalls verglichen mit NY oder London. Wir sind auch an der Spitze, was die Körperunzufriedenheit angeht. Es gab eine internationale Studie, von diversen bekannten Unis durchgeführt. Laut der ist hierzulande jedes zweite Mädchen mit ihrer Figur unzufrieden. Jedes zweite Mädchen, das ist doch unglaublich. Ich habe ja immer viele „Komplimente“ bekommen, von wegen „es ist toll, wie du dich anziehst, trotz deiner Kleidergröße“, oder „du hast ja so ein schönes Gesicht.“ Solche abgeschnittenen „Komplimente“ reduzieren einen ja auch wieder auf seine Figur.

Ich finde, es gibt noch zu wenige Plus-Size-Vorbilder. Von Tine Wittler abgesehen werden runde Frauen immer noch auf Komikerin und Sidekick reduziert.

Ich kenne Melissa McCarthy auch nur aus Komik-Rollen. In Stolen Identity gab es ja dann am Ende die übliche Cinderella-Story, dass sie umgestylt wurde und ganz anders aussah, eben hollywood-mäßig. Ich finde das schade, und finde, es sollte mehr Plus-Frauen als Vorbilder geben. Menschen suchen nach Vorbildern, nach Frauen, die einfach mehr aus sich und ihrem Leben machen. Die sagen, ich bin bereit, zu arbeiten, ich habe ein Ziel, dass ich erreichen will. Ob man sich selbst als solches sieht, sei einmal dahingestellt. Es wäre jedenfalls toll, wenn wir präsenter wären, in den Medien und auch sonst. Ich würde mir von kurvigen Frauen aber auch noch mehr Bereitschaft wünschen, anzupacken. Ich merke, dass viel gewünscht wird, aber ich würde mir noch mehr Initiative wünschen. Mir fällt of auf, was es alles im Plus-Bereich alles noch nicht gibt, und das kann ich ja nicht alles alleine machen.

Was ist Plus Size Lebenssil für dich?

Plus Size hat teilweise fast schon einen negativen Beigeschmack, weil es bei manchen Modelagenturen schon bei 38 anfängt. Allgemein kann man sagen, dass man oft erst mal lernen muss, einen Plus-Size-Lebensstil zu haben. Dass man sich trauen lernen muss, sich gewissen Sachen anzuziehen. Auch da war die Fashionweek in New York sehr inspirierend für mich. Für eine Fashionparty auf einem Boot vor Manhattan habe ich mir zum ersten Mal ein weißes Kleid angezogen und ziemlich viel Bein gezeigt. Anfangs war ich nervös, aber zu wissen, dass das allen so egal war, fand ich sehr befreiend. Man kann happy at any size sein, das Gefühl des Glücks beschräkt sich nicht auf eine bestimmte Kleidergröße.

Ganz in weiß bei der Full Figured Fashion Week, neben US-Bloggerin Marie Denee
Ganz in weiß bei der Full Figured Fashion Week, neben US-Bloggerin Marie Denee

Das heißt, es hilft auch, sich mal aus seiner modischen Komfortzone zu trauen.

Es wirkt auch manchmal Wunder, sich zu trauen, auch mal einen anderen Stil auszuprobieren. Ich habe in New York bei einem anderen Event ein Teil von Eden Miller getragen, der ersten Plus-Designerin, die ihre Mode bei der regulären Fashion Week zeigte. Ihre Kreationen sind sehr ausgefallen, und das blau-orange Seidenteil war an sich nicht ganz mein Stil, aber alle fanden, dass es absolut toll aussah. Seinen Stil zu finden und damit auch Spaß zu haben, macht auch richtig Lust auf mehr. Ich liebe Fascinators, diese kleinen Hütchen. Mein Liebster hat mir zum Valentinstag einen Cupcake-Fascinator von Jazzafine geschenkt, der wirklich aussieht wie ein kleines Törtchen mit Beeren drauf, man möchte reinbeißen.

Und es gibt ja auch noch Schminke …

Auch das Make-up kann zum Wohlfühlen viel beitragen, wenn man die Tipps und Tricks kennt, wenn man weiß, wo man Puder und Rouge platziert und wie man ein runderes Gesicht am besten schattiert.

Du bietest inzwischen auch Schminkkurse für rundere Frauen an. Wie kam es dazu?

Ich veranstalte seit Jahren Make-up-Kurse, und habe mich immer gefragt, wo denn all die Plus-Size-Frauen sind. Ich dachte mir, dass sie sich vielleicht nicht trauen. Dann habe ich begonnen, eigene Schminkworkshops für Plus-Size-Frauen zu veranstalten, weil ich dachte, dass sie sich in einem geschützten Rahmen wohler fühlen. Die Plus-Size-Workshops sind ein voller Erfolg, und fast noch lustiger als die regulären. Wir bieten auch Fotoshootings mit Profifotografen an – der nächste am ersten und zweiten Mai – um Frauen ein bisschen zu sich selbst zu führen.

Das klingt nach einer erfüllenden Arbeit.

Das schöne an der Arbeit mit Privatkundinnen ist, dass man wirklich etwas erreichen kann. Ich schminke oft Models, und die erleben das jeden Tag, es ist für sie ein Job, und nicht weiter. Meine Privatklientinnen freuen sich, wenn sie neues an sich entdecken. Es berührt mich, wenn jemand mir sagt „Ich musste erst 50 werden, um mich schön zu fühlen.“ So etwas bleibt in Erinnerung.

FUN FACTS: Fünf Dinge, die man noch nicht über Tanja wusste.

1. Ich liebe Latkritze

2. Ich trage Schuhgröße 44

3. Ich trage seit fünf Jahren Extensions

4. Ich möchte unbedingt lernen, wie man Swing tanzt

5. Im früheren Leben war ich Fremdsprachenassistentin