Wenn man wie ich behauptet, dass man sich in einem dicken Körper wohl fühlen und besagten Körper sogar lieben lernen kann, steht man hierzulande (noch) ziemlich alleine auf weiter Flur – die body positivity-Bewegung steckt in Europa, wie man so schön sagt, noch in den Kinderschuhen. Umso mehr tut sich im englischsprachigen Ausland, besonders in den USA und in Kanada.
Da gibt es zum Beispiel die Bloggerin Jes Baker (The Militant Baker), einem breiteren Publikum im Zuge des Abercrombie&Fitch-Skandals zum Begriff geworden. Nachdem Abercrombie-CEO Mike Jeffries dicke Frauen als uncoole Randgruppe bezeichnet hat, die sich ja nicht unterstehen sollten, seine Mode zu tragen, hat Jess mit einem offenen Brief und der „Attractive & Fat„-Fotokampagne (einer Parodie auf die Werbesujets von A&F) geantwortet.
Eine andere Plus-Aktivistin ist Model Tess Munster. In einer Zeit, in der man in der Modebranche schon mit Größe 40 als Repräsentantin der Übergrößen gilt, hat die Mutter eines Sohnes mit ihrer Kleidergröße 52 eine bemerkenswerte Karriere hingelegt und die #effyourbeautystandards-Kampagne gegründet.
Dann gibt es noch Chrystal Bougon, Besitzerin von Curvy Girl Lingerie, Huffington-Post-Kolumnistin, die normale Frauen ermutigte, sich in hübschen Dessous zu fotografieren und die unretuschierten Bilder auf ihrer Facebook-Seite zu posten. Und Internet-Tanzsensation Whitney Thore, Gründerin der No Body Shame-Kampagne. Und Burlesque-Tänzerin The World Famous *BOB*, deren inspirierenden Selflove-Workshop ich vor zwei Jahren in NYC besucht habe. Und Dichterin und Aktivistin Sonya Renee Taylor von The Body is not an Apology. Und die Kanadierin Louise Green, Gründerin der Plus-Size-Fitnesscenterkette Body Exchange. Und und und …
Damit diese Frauen sich nicht nur im virtuellen Raum vernetzen, hat Jes mit Hilfe einer Gruppe engagierter Freiwilliger in ihrer Heimatstadt Tucson die Body Love Conference auf die Beine gestellt, und viele der viele der Bloggerinnen und Aktivistinnen, deren Arbeit ich seit längerer Zeit verfolge, als Sprecherinnen eingeladen. Ich wollte unbedingt nach Arizona fliegen, auch, weil ich an einem neuen Kunstprojekt zum Thema Körper und Schönheit arbeite (mehr zu „The Radical Muse Project“ demnächst). Man kann sich also meine Aufregung und Freude vorstellen, als ich zehn Tage vor der Konferenz die Verständigung vom Kulturministerium bekam, dass man mir ein Reisestipendium nach Arizona genehmigt hatte, dass ziemlich genau für Flug, Unterkunft und die Teilnahmegebühren an der Konferenz reichen würde.
Vierhundert Nordamerikanerinnen und eine Europäerin
Die weltweit erste Body Love Conference fand also am 5. April im Kongresszentrum der Uni in Tucson, Arizona statt. Über vierhundert Frauen aller Hautfarben, Altersgruppen und Körpertypen kamen nach Tucson, von Schülerinnen bis zu Pensionistinnen, von Körpertyp Waldelfchen bis Kleidergröße Wagnersopran, aus allen Teilen der USA und einige sogar aus Kanada. (Ich war die einzige Europäerin im Raum, und dass ich extra aus Wien zur Konferenz angereist bin, war Jes eine Erwähnung in ihrer Eröffnungsrede wert).
Bei der Registrierung bekam jede von uns ein Namensschildchen, auf dem wir eintragen konnten, was wir an uns alles liebten. Ziemlich viele Frauen schrieben einfach „myself“ oder „my body“, andere konzentrierten sich auf einen oder mehrere Lieblings-Aspekte.
Die eigentliche Veranstaltung begann mit einer Eröffnungsrede von Organisatorin Jes Baker. Sie sprach davon, warum es so wichtig ist, die herrschenden negativen Selbstbilder zu hinterfragen, und zu transformieren. Um zu belegen, wie wichtig eine Body Love Revolution ist, fragte sie das Publikum, wer sich und seinen Körper eigentlich zu einundert Prozent mag. Gerade zwanzig Hände reckten sich in die Höhe, kaum fünf Prozent der Anwesenden.
Jes sprach dann von den Folgen eines negativen Körperbilds, von den persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Selbsthass wie Eßstörungen oder Despression, und davon, dass viel zu viele Frauen ein Leben in der Warteschleife leben. „Wir alle kämpfen einen Kampf, den wir eigentlich gar nicht kämpfen sollten.“
Nach Jes waren die Expertinnen an der Reihe, Vormittags und Nachmittags standen je zwei Blöcke mit Vorträgen und Workshop am Programm. Die Themen der Präsentationen reichten von Body Love Yoga, Körperliebe nach der Geburt eines Babys, Body Acceptance durch Creative Writing, über Burlesque für Anfängerinnen, Selbstliebe nach sexueller Gewalt, Heilung von Essstörungen, Erziehung von körper-positiven Kindern bis zu Quigong für alle, Sinnlichkeit und Behinderung, Karriere für kurvige Frauen und mehr. Ich hätte mich am liebsten geklont, um an möglichst vielen Veranstaltungen teilnehmen können.
Vortrag eins: Hot sex and the curvy girl
Chrystal Bougon, einst Programmiererin im Silicone Valley, ist seit zwei Jahren die Besitzerin der einzigen amerikanischen Dessous-Boutique für große Größen. Einem breiteren US-Publikum bekannt geworden ist sie letztes Jahr, als sie eine Fotokampagne ins Leben gerufen und „normale“ Frauen ermutigt hat, sich in Dessous ablichten zu lassen – und damit den Zorn der selbst ernannten „Fitness-Expertin“ Maria Kang auf sich gezogen hat. Kang echauffierte sich öffentlich, Chystals Aktion „verharmlose Fettleibigkeit“ und schleuderte auch sonst mit den üblichen Vorurteilen um sich. Chrystal, nach eigenen Angaben vollkommen gesund, stellte sich den Anschuldigungen der „Fit Mom“, wurde von sämtlichen US-Medien portraitiert, und steigerte über Nacht den Umsatz von Curvy Girl Lingerie um über 500%. Auch eine produktive Art, mit negativen Vorurteilen umzugehen.
Chrystal, die zwischen ihrer Tech-Karriere und der Eröffnung ihrer Boutique ein Jahrzehnt lang sehr erfolgreich Heimpartys für erotische Spielsachen veranstaltet hat, ist auf einer Mission: sie möchte Frauen beibringen, wie gut sie sich in ihren Körpern fühlen können. Ziemlich unverblümt redete sie über Sexspielzeug, Höhepunkte und darüber, dass sie mit ihren gut 300 Pfund ein tolles Liebesleben mit einem jüngeren Partner hat. „Ein Weg, sich selbst lieben zu lernen, ist, sich auf das Vergnügen zu konzentrieren, das einem der eigene Körper bereiten kann.“
Votrag zwei: Fearless Fitness and No Limits Living
Auch die Kanadierin Louise Green ist auf einer Mission: sie möchte runderen Frauen Fitness näherbringen, und zwar auf eine ganz neue Art, abseits von Diätzwängen und Kalorienzählen. Louise, deren Liebe zu Sport ihr aus einer dunklen Lebensphase voller Selbstzerstörung geholfen hat, erschafft mit ihrem Fitnesscenterkette Body Exchange (die es bisher in Kanada gibt, die bald aber auch in die USA expandieren soll) geschützte Räume, wo dicke Menschen die Freude an der Bewegung und am eigenen Körper wiederentdecken und stärken können. Sie sprach über die Hemmschwellen, die Dicke beim Beginn eines Trainingsprogramms überwinden müssen, und die manche davon abschrecken, überhaupt Sport zu treiben (Vorurteile, ahnungslose Trainer, dumme Kommentare, die Befürchtung, auch als sportlicher Mensch als Anfänger abgestempelt zu werden und mehr). Die Fitness-Expertin beklagte auch die einseitigen Bilder der Medien und vor allem der Sportartikelhersteller. „Je mehr sich die Leute in den Werbungen wiedererkennen, desto eher kaufen sie die Produkte.“ Weise Worte …
Nudeln & Netzwerken
Beim Mittagessen (Salate, vegerarische Pasta und ungesüßter Eistee) hatte ich unter anderem die Gelegenheit, mit „Fat Chick Dancing“ Whitney Thore und der Vortragenden Jennifer Chambers („The Self Advocacy Toolbox – Steps for an Empowered Life“) und ganz kurz auch mit Model Tess Munster zu plaudern. Das Jes und ihre Mutter und Großmutter an meinem Tisch saßen, war ein zusätzliches Vergnügen.
Model und Kämpferin, Tragödien und Triumphe
Nach der Mittagspause kam ein Vortrag der besonderen Art. Tess Munster, Plus-Size-Model und Gründerin der #effyourbeautystandards-Kampagne, erzählte, wie sie es schaffte, sich nach oben zu kämpfen und sich ihren Traum vom Modeln zu erfüllen. Wie es ihr gelang, eine Kindheit mit einem gewalttätigen Stiefvater und massivem Mobbing in der Schule hinter sich zu lassen und sich als alleinerziehende Mutter und mit einer in der Branche unerhörten Kleidergröße 52 zu etablieren, mit Fotografen wie David LaChapelle zu arbeiten und von der italienischen Vogue unter die besten zehn Plus-Models gewählt zu werden.
Tess sprach auch offen über das Mobbing, dass ihr online entgegenschwappt, über die Tage, an denen sie sich gar nicht glamourös fühlt, über ihre Erfahrungen in der Modebranche und über frühre Aufträge, die sie heute nicht mehr annehmen würde.
Besonders berührend: Tess´ Mutter, seit einer besonders grausamen Attacke ihres Exmannes körperlich behindert, konnte die Rede ihrer Tochter und die begeisterten Reaktionen des Publikums via Skype miterleben.
Vortrag drei: Mode und persönlicher Stil für jeden Körper
Elizabeth „Liz“ Denneau, Modeschöpferin aus Tucson und Gründerin des Labels Candy Stike, ist eine Fashionista durch und durch. Ihre Liebe zu Mode und zu ungewöhnlichen Kreationen merkte man ihrem Vortrag an. Sie erzählte zuerst über ihren modischen Werdegang, und widmete sich dann den verschiedenen Körpertypen, gab Tipps, wie man seine Vorzüge am besten betont und verriet, warum man in Sachen Figur oft ein Mischtyp ist. Ihr Motto: „Zeig deine wunderschönen Kurven.“ (Ein ausführliches Interview mit Liz ist übrigens in Planung).
Votrag vier: Warum Boudoir-Fotografie?
Den letzte Vortrag des Tages hielt die Fotografin Liora K., aus Tucson. Ich kenne Lioras fotografische Arbeiten von Jes´Blog, und war gespannt auf ihren Vortrag. Liora erzählte von der Geschichte von Boudoir-Abbildungen, gab Tipps, wie man die besten FotografInnen für ein Shooting findet, und verriet, warum es so immens wichtig ist, dass man solche Bilder in erster Linie für sich selbst macht, und dann erst für einen eventuellen Partner. Ihr Credo: „Die Bilder sollen dir gefallen, und du sollst dich wohl fühlen, damit deine wahre Schönheit sichtbar wird.“
Der Tag endete mit einer kurzen Ansprache von Jes, und dem Versprechen, dass es auch nächstes Jahr eine Konferenz geben werde: noch größer, und vor allem mit mehr Zeit für Workshops. Das Publikum applaudierte begeistert …
PS: Am Abend nach der Konferenz gab es noch eine ganz fantastische Revue, mit Burlesque, Akrobatik, Tribal Bauchtanz, Gesang und mehr, moderiert von World Famous *BOB*. Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Mal …