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Monatsarchiv: Juni 2014

Girlcrush: Virgie Towar, Fashionista und Aktivistin

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Virgie Tovar, selbstbewusste Kurvenfrau (alle Fotos (c) Virgie Tovar)

Sie ist farbenfroh und engagiert, auffällig und klug, wunderbar selbstbewusst und witzig: Virgie Tovar, amerikanische Autorin und Aktivistin. Ich bin bei meiner Recherche für meinen Roman auf Virgie und ihre Arbeit gestoßen, und freue mich, sie hier vorstellen zu können. Virgie ist eine der führenden US-Expertinnen auf dem Gebieten Körperbilder und Dickendiskriminierung, Herausgeberin der Anthologie „Hot & Heavy: Fierce Fat Girls on Life, Love and Fashion“ (etwa: Heiß & schwer: Dicke Powerfrauen über Liebe, Leben und Mode) und hält Vorträge an diversen großen Unis. Medien wie Huffington Post, Bust Magazine, MTV und Al Jazeera berichten regelmäßig über ihre Arbeit. Sich selbst beschreibt Virgie als „fabelhafte fette Frau, die in San Francisco lebt.“ Sie liebt die Farbe pink, Glitter, Tiramisu, Bikinis und Chihuahuas, die so winzig sind, dass sie in Teetassen passen. Ich freue mich, dass sie Zeit gefunden hat, mit mir über Mode und Selbstliebe und die Wichtigkeit von erotischen Kurzgeschichten zu reden.

VIE: Du siehst auf Fotos immer so fierce aus. Wie hältst du es mit Stil und Mode?

Mein Stil wird von Miss Piggy und Dolly Parton beeinflusst, von den Diven der Seifenopern der 80-er (wie Dynasty und Twin Peaks), und definitiv auch von Street Fashion. Ich beschreibe meinen Stil als „hochgradige feminines, überdrüber kitischiges molliges Sexkätzchen mit Attitüde“. Ich liebe Wildtiermuster, alles rosafarbene oder/und alles mit Süßigkeiten und mit Tierchen drauf (am besten alles zusammen), Bleistiftröcke und Bademode (Fatkinis). Ich ziehe mich an, um gesehen zu werden. Bei dicken Frauen ist das Gesehen werden ein politisches Statement. Ich sehe meinen Körper als Leinwand. Je größer der Körper, desto größer die Leinwand, auf der man sich selbst ausdrücken kann. Ich liebe riesigen Schmuck, leuchtende Farben, auffällige Muster, bauchfreie Tops, kurze Röcke, und ich mag es, meine Lieblingslooks mit ein paar Zentimetern an Dekolletee, riesigen Sonnenbrillen und hochglänzendem Lipgloss abzurunden. Wenn die Sonne scheint, ist ein Sonnenschirm PFLICHT.

Was heißt Plus Size Lebensstil für Dich?

Für mich ist es der einzigartige Lebensstil, der mir ermöglicht wird, weil ich überlebensgroß bin. Es ist das Bewusstsein, dass mein großer und üppiger Körper nicht nur einzigartig und schön und interessant ist, sondern auch kraftvoll und mächtig. Es ist ein Lebensstil, wo ich die Regeln aufstelle. Ich bin kein „gutes Mädchen“, das jemandem anderen erlaubt, zu bestimmen, was sie essen soll oder welche Kleidergröße ihr Körper haben soll. Mein Leben ist voll von Freunden und Geheimnissen, dekadenten Desserts und fabelhaften Outfits!

Virgie weiß, was ihr steht, und was ihr Spaß macht …
Virgie weiß, was ihr steht, und was ihr Spaß macht …

Hast du dich immer schon geliebt, und wenn nicht, wie hast du es gelernt?

Ich glaube fest daran, dass jeder sich am Anfang selbst liebt. Oder wir beginnen unser Leben noch einfacher, sind uns unseres Körpers nicht besonders bewusst und legen keinen besonderen Wert auf seine Form und Fähigkeiten. Uns ist völlig bewusst, was wir brauchen: Liebe, Essen, gebadet werden, vielleicht ein paar Spielsachen. Mein Körper war nicht von Anfang an mein Feind, aber man hat mir über Jahre beigebracht, meinen Körper zu hassen. Man hat mir beigebracht, dass mein Körper eine riesige Schande war und dass mich niemand lieben oder begehren oder auch nur interessant finden würde, weil ich fett war. Weil es in meinem Leben so viele Menschen gab, die mir alle das gleiche erzählten, fing ich an, ihnen zu glauben. Lange Zeit – zu lange – habe ich geglaubt, dass mein fetter Körper das schlimmste an mir sei und in mir eine dünne Person lebte, die verzweifelt versuchte, sich aus mir herauszukämpfen und ein „wirkliches“ Leben zu leben. Ich war ständig auf Diät. Ich habe wie besessen trainiert. Ich habe versucht, mich zu Tode zu hungern, habe am Ende sogar Skorbut bekommen, was verdammt furchtbar war. Dabei habe ich zu der Zeit gerade in Italien gelebt, was das Ganze besonders furchtbar gemacht hat. Ich war derart überzeugt, dass mein Körper wertlos und hässlich war, und ich habe ihn zu keinem Zeitpunkt geliebt.

Mit Anfang 20 hatte ich einen großen Moment der Erkenntnis, als ich auf Diät war (ich hasste es, Diät zu halten, aber ich war süchtig danach, abzunehmen). Ich begann mich zu fragen: Wie lange noch? Wie lange muss ich noch so leben? Wie viele kuchenlose, käselose, milkshakelose Tage noch, bis ich aufhören kann? Ein Jahr? Nein. Zwei Jahre? Nein. Fünf? Nein. Zehn, Zwanzig? Nein. Nein. Ich würde bis an mein Lebensende so weiter machen. Und in diesem Moment war mir klar, dass das die Antwort war. Trotzdem hat es auch nach diesem Erlebnis noch ein paar Jahre gedauert, bis ich wirklich beschlossen habe, nie mehr Diät zu halten. Und, so glücklich mich das machte, der Entschluss machte mir auch Angst. Ich hatte mein gesamtes Leben damit verbracht, für den Traum zu leben, eines Tages schlank zu sein. Es sich schwer, einen so großen Teil seines Lebens loszulassen. Es war aber eine Entscheidung zwischen diesen beiden Aussichten: Ich konnte entweder mein Leben zerstören, in dem ich dem Traum verfolgte, dünn zu sein. Oder ich konnte die Ideologie zerstören, diese Ideologie, die so viele Frauen dazu bringt, sich zu hassen. Ich habe mich für zweiteres entschieden, und kann mir gar nicht mehr vorstellen, mich anders entschieden zu haben.

Sexy Bademode? Virgie trägt sie …
Sexy Bademode? Virgie trägt sie …

Was liebst du an dir?

Ich liebe mein Lächeln. Ich liebe es, wie ich in einem kurzen Blümchenkleid aussehe. Ich liebe meine süßen Zehen, die Tatsache, dass jede ein bisschen kleiner ist als die vorangegangene. Ich liebe es, dass mein Haar am besten aussieht, wenn ich gerade aus dem Ozean komme, oder wenn ich es nach dem Duschen lufttrocken lasse. Ich liebe es, wenn meine Brüste sich bewegen. Ich liebe meine großen Brillen. Ich liebe meine süßen kleinen Lippen. Ich liebe meinen Bauch, und die zwei Falten, die er hat. Ich liebe meine starken Beine. Ich liebe es, wie meine Haut bräunt und den perfekten Oliveton annimmt, wenn ich in der Sonne war. Ich liebe es, wie ich in türkis und in orange aussehe. Ich liebe es, wie meine Augen aussehen, wenn ich flirte. Ich liebe es, wie meine Stimme klingt, wenn ich verliebt bin. Ich liebe es, wie sich Sand zwischen meinen Zehen anfühlt. Ich liebe es, dass ich bei Keksen am Geruch erkenne, dass sie fertig sind. Ich liebe es, dass ich keine Angst habe, mich für gewaltige Aufgaben zu verpflichten. Ich liebe es, dass mein Lachen andere zum Lachen bringt. Ich liebe die Worte, die ich erfinde. Ich liebe es, dass mich die meisten Sachen neugierig machen. Ich liebe es, dass ich so viel attitude und Kampfgeist in mir habe.

Was ist die Story hinter dem Hot&Heavy-Buch?

Die Geschichte ist lang, aber das Buch ist essentiell Magie.

Es ist die Sammlung sehr persönlicher Geschichten von 31 Frauen, von ihrem Entschluss, sich aus der Kultur von Diäten und Selbsthass auszuklinken. Es sind Frauen verschiedener Kleidergrößen, die aber alle finden, dass das Wort fett und die Diskriminierung der Dicken ihr Leben beeinflusst haben. In den Geschichten geht es um Sex, Mutterschaft, Dates, Mode, Krebs, das Altern, Yoga, und um den Kampf, dich selbst zu lieben, und das in einer Kultur, die dir sagt, dass du niemals genügen wirst.

Welche Frauen findest du inspirierend, Plus-Size und auch sonst?
Miss Piggy, Margaret Cho, Amber Riley, Ricki Lake, Audre Lorde, Michelle Tea, Queen Latifah, bell hooks, Jackie Wang, Alison Jolly, Deb Burgard, Marie Denee (The Curvy Fashionista), Chastity Garner (Garner Style) – so viele !

Süß und selbstbewusst in Shorts …
Süß und selbstbewusst in Shorts …

Tipps, wie man mit hatern (also negativen, hasserfüllten Menschen) umgehen kann?

Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass man die Hasser öffentlich beschämen muss. Ich habe es mir abgewöhnt, mit dem Finger auf sie zu zeigen, sie anzustarren, ihnen die Zungen rauszustrecken, sie an- und auszulachen, über die zu bloggen, und sie zu fotografieren, wenn immer es geht. Die Hasser scheinen es zu hassen, fotografiert zu werden, also mache ich das am Liebsten.

Hast du Tipps für Plus-Frauen, die sich noch nicht sexy/sinnlich fühlen?

Einer meiner Lieblingstipps ist, Erotika zu schreiben, die sich um dich drehen, und um den Körper, den du jetzt hast. Viele Frauen stellen sich ihren Körper anders vor – jünger, fester, dünner, was auch immer. Ich ermutige Frauen, die Körper, die sie jetzt haben, als heiß, sexy und als richtig anzusehen. Wenn du Dessous magst, ziehe sie an. Lege sexy Musik auf. Wenn du Wein trinkst, gieße dir ein Gläschen ein. Eine Stunde lang darfst du den Stift nicht vom Papier heben. Schreibe eine Geschichte über dich, aus der Sicht von jemandem, der dich zutiefst begehrt, und zwar so, wie du gerade bist. Schreib über deinen Körper, deinen Körper, deine Schenkel, und zwar mit Worten, die sie vergöttern. Schreib über die Teile, die zu mögen du Schwierigkeiten hast. Schenk dir in dieser Story ganz viel Vergnügen. Schreib solche Geschichten, so oft du kannst. Lies sie. Sieh, wie sich das beeinflusst.

Bikini-Body, mit obligatorischem Sonnenschirm
Bikini-Body, mit obligatorischem Sonnenschirm

Abgesehen von deinem Blog – was sind deine Lieblingsressourcen.

Curvy Girl Lingerie

The Militant Baker

Decolonizing Yoga

Plus Size Mommy Memoirs

Louise Green

Isabel Foxen Duke

The Curvy Fashionista

Garner Style

Was planst du für die Zukunft?

Ich habe gerade die #LoseHateNotWeight (verlier den Hass, nicht das Gewicht)-Kampagne ins Leben gerufen, und plane für den Sommer 2015 ein interaktives Online-Programm mit diesem Titel. Mein Ziel ist es, mit diesem Programm bis 2020 zehntausend Frauen zu erreichen. Dieses Programm legt den Schwerpunkt darauf, das Verhältnis von Frauen zu ihrem Körper zu ändern, und den Frauen Werkzeuge mitzugeben, um Selbsthass ein für alle Mal loszuwerden. Ich suche dafür gerade Sponsoren und neue Kontakte. Für Neuigkeiten zu diesem Projekt kann man sich auf meine Mailingliste anmelden.

Wenn man mich unterstützen will, kann man den Hastag #LoseHateNotWeight via Social Media verbreiten, sich für meine Mailingliste anmelden, und sich to & Heavy : Fierce Fat Girls on Life, Love and Fashion kaufen – das Buch gibt es als Taschenbuch, ebook und seit neuestem auch als englisches Hörbuch.

Danke für das Gespräch.
Danke auch!

#losehatenotweight
#losehatenotweight

PS: Noch mehr Girlcrush-Interviews hier

Schöne-Sachen-Samstag

Spiegein, Spieglein an der Wand, wer liebt den meisten Kitsch im Land?
Spiegein, Spieglein an der Wand, wer liebt den meisten Kitsch im Land?

Kakao und Kuchen mit einer sehr lieben Freundin, spontan und ungeplant / mit Burlesque-Ikone The World Famous *BOB* durch die Naschmarktgegend humpeln und ihr Lieblingsplätze zeigen (Interview folgt in den nächsten Tagen) / Fingernägel, TARDISblau (danke, Glossybox) / Onlineflirts / Doctor Who Doppelfolge Silence in the Library & Forrest of the Dead ( fabelhaftes Storytelling) / noch mehr Kirschen / Interview mit Virgie Towar übersetzen und mich über ihren Mut und die Inspiration freuen / noch einen offenen Bücherschrank in meiner Nähe entdecken und mit Jelinek-Monologen, dem Wolkenatlas und Murakamis Kafka-Buch heimkommen / Draußen sitzen und mir die Sonne auf den Verband und auf die Sommersprossen scheinen lassen / Schmetterlingsspiegelchen / Schmetterlingsring (ja, ich mag die Tierchen) / Misty Maws zauberhaftes Kunstanleitungsbuch Unfurling, dass schon lange auf meiner Wunschliste war, gebraucht finden/ Granny Smith / Experimente mit Stempeln und Acrylfarbe / Wirtschafts-Weiterbildung, wichtig / Vorfreude auf das Babyneffi

Genuss, ungeplant – aber sehr wilkommen …
Genuss, ungeplant – aber sehr wilkommen …

 

Facebook-Tipps für Kurvendamen

Kurvenpower im Facebook-Feed
Kurvenpower im Facebook-Feed

Für alle, die ein bisschen Inspiration abonnieren wollen oder nach neuen Möglichkeiten suchen, sich mit anderen üppigeren Menschen zu verbinden …

Deutschsprachiger Raum

BBW Austria – Kleine und feine Gruppe für Plus-Frauen in Österreich

Kurvenrausch Hamburg: „Kurvenrausch ist Plattform für die +Size-Szene“ sagt Betreiberin Tanja, Powerfrau aus Hamburg. „Kurvenrausch macht Mut. Kurvenrausch ist Community, veranstaltet Fashion-Shows, Beauty-Events, Umstyling-Aktionen, bietet Live-Berichterstattung von Fashion-Shows, ist +Size-Blog und Netzwerkplattform – eben das Online-Life-Style-Magazin für kurvige Frauen.

ReBelles: Die von Tine Wittler gegründete Initiative ermutigt Frauen, aus den vorgegebenen Beauty-Normen auszubrechen. „ReBelles wissen, dass ihr Körper ihnen gehört und nicht dafür da ist, von anderen be- oder verurteilt oder als “schön” bewertet zu werden. Und sie handeln danach!“ Man findet sowohl eine Facebook-Seite für die Initiative, als auch eine geschlossene Gruppe, der man beitreten kann.

Vor kurzem habe ich die Plus Size Beauty-Seite entdeckt, die inzwischen über 3000 Abonnentinnen hat. Wir sind ein kleiner aber feiner Fashion, Lifestyle und Shopping Blog auf facebook“ sagen die vier Administratorinnen Tanja, Lina, Denise, Nadine. „Wir möchten allen Plus Size Frauen Mut machen, sich zu lieben und das Leben zu genießen. We love Curves! Denn auch mit etwas mehr auf den Hüften ist es noch lange kein Grund sich zu verstecken Schönheit kennt keine Größen! In unseren Posts richten wir uns stark nach unseren Leserinnen und gehen auf die viele Nachrichten ein, die wir täglich bekommen.“ Das Quartett plant übrigens einen YouTube-Kanal. Ich bin gespannt und freue mich …

Sensuality in XXL – Deutscher Fotograf, spezialisiert auf kurvige Frauen

Fat Grrrl Activism – Queer, politisch und engagiert

ARGE dicke Weiber – Aktivismus gegen Diskriminierung und für neue Körperbilder

International

Voluptuous Art: Viele inspirierende Bilder von kurvigen Frauen, durchaus auch in Dessous

La Beauté des Rondes, Fat Beauty – siehe oben.

For the love of curvy women – dito.

Venus of Willendorf Project – Kunst, Fotos, Inspiration

Plus-Size-Tänzerin und Aktivistin Ragen Chastain gründete die Gruppe Rolls, not Trolls (Röllchen statt Trolle), um Aktivismus gegen dumme Internet-Kommentare zu starten. Wer sich über schlecht recherchierte, trollverseuchte Berichterstattung ärgert, findet hier Gleichgesinnte.

Go Curvy: YouTube-Kanal und Facebook-Platform

Linda Bacon und Health At Any Size

Body Love Wellness: Seite von HAES-Coach Golda Poretsky

 

Offener Brief an Delna Antia vom BIBER

 

Ich mag den BIBER an sich wirklich, inklusive Delna Antias Kolumnen …
Ich mag den BIBER an sich wirklich, inklusive Delna Antias Kolumnen …

Liebe Frau Antia,

in der letzten Ausgabe der Wiener Stadtzeitung BIBER schreiben Sie eine Kolumne, in der Sie davon berichten, dass Sie wegen ihres sehr schlanken Körpers gemobbt werden. Tenor Ihres Artikels: „Inzwischen geht es den Dicken gut, und man mobbt die Dünnen.“

Zuallererst einmal: das, was man Ihnen über Ihren Körper sagt, finde ich entsetzlich. Keiner hat das Recht, solche Kommentare zu machen, und Ihren Körper zu kritisieren. Ihre Figur und Ihr Gewicht ist ganz alleine ihre Sache, und ich finde es gut, dass man das auch von schlanker Seite thematisiert.

Hier kommt allerdings auch schon mein aber: ich würde mir wirklich wünschen, zumindest ein einziges Mal einen Artikel zum Thema “stop the skinny bashing” zu lesen, ohne Phrasen wie “den Dicken gegenüber würde man solche Kommentare nie machen / die Dicken lässt man in Frieden / die Dicken werden mit Samthandschuhen angefasst.”
Wissen Sie, warum? Weil es schlicht und ergreifend nicht stimmt, und ich mich frage, wie Sie zu diesem Schluss kommen. Stimmt schon, in unserer Kultur hat das Kritisiert werden langsam auch die Dünnen erreicht, und das ist eine sehr ungute Entwicklung. Das heißt aber nicht, dass es den Dicken gut oder besser geht. Ganz im Gegenteil.

Ein paar Beispiele gefällig? Es gibt – ohne Übertreibung – hunderttausende mehr:
– Die Macherinnen der Fattitude-Doku wurden für ihre Kickstarter-Kampagne “Fattitude” für einen Dokufilm über Vorurteile in Populärmedien massiv gemobbt, bis hin zu Vergewaltigungs-Drohungen und Mordaufrufen.
– Letztes Jahr gab es auf Twitter eine Fat Shaming Week.
– Dicke Frauen verdienen bei gleicher Qualifikation weniger als schlanke
– Diverse Studien zeigen, dass viele Ärzte und PflegerInnen dicken PatientInnen massive Vorurteile gegenüber haben
– Die dicke Bloggerin und Tänzerin Ragen Chastain wurde von unbekannten mit Eiern beworfen – beim Lauftraining für den Marathon
– Nach einem Interview und Bericht über mein Buch in der Woman im Jänner hat mich eine junge Dame auf der Woman-Facebookseite als “Pottwal” bezeichnet und sich über das Lob der Unmäßigkeit aufgeregt (besonders sensibel, wenn man bedenkt, dass ich im Interview von meinem jahrelangen Kampf gegen eine Essstörung erzählt habe).
– Alle meine molligen und dicken Freundinnen berichten von einem ungebrochenem Strom an dummen Kommentaren und Aggression ihren Körpern gegenüber.
– Noch mehr WTF-Momente, die mir selbst widerfahren sind, finden Sie in diesem Blogpost. Und die Liste ließe sich fortsetzen. Ganz ehrlich, wenn das Samthandschuhe sind, möchte nicht wissen, wie man Dicke barhändig behandelt …

Dazu kommt, dass Dicke in der medialen Öffentlichkeit nur ganz am Rande vorkommen, sieht man von solchen menschenverachtenden Shows wie Biggest Loser und dicken Sozialhilfeempfängerinnen in Realityshows ab. Sicher, es gibt ein oder zwei Sängerinnen und zwei, drei Komikerinnen, aber das war es auch schon. Romantische Heldinnen oder Actionfilmheroinen oder meinetwegen fiese Fashionredakteurinnen jenseits von Größe 44? Fehlanzeige. Plus-Models, die mehr als Größe 42 haben? Sind immer noch eine ziemliche Ausnahme. Und nicht, dass es in keine interessanten dicken Frauen gibt, sie werden von den Medien bloß hartnäckig ignoriert. Wann haben Sie das letzte Mal eine Frau mit Größe 50 am Cover von Vogue oder Elle oder meinetwegen der Wienerin gesehen?

Und warum finden sich eigentlich auch im Biber so gut wie nie Frauen mit meiner Kleidergröße? In der Ausgabe, in der Sie ihre Kolumne mit „Alles dreht sich um die Dicken“ betitelt haben, war KEIN EINZIGES Bild einer Frau jenseits von Größe 40. (Ironisch, oder?) Und auch sonst tut sich der Biber nicht gerade als size friendly hervor. Ich bin BIBER-Fan seit der ersten Nummer und lese so gut wie jede Ausgabe, aber ich kann mich an kein einziges Modeshooting mit einer Plus Size Frau erinnern, an keinen einzigen Shoppingtipp für größere Größen, an keine einzige Erwähnung eines Plus Size Blogs … (dabei sind wir dicken Mädels auch nicht anders. Wir lieben Mode und Schuhe und Romanzen und Abenteuer und Reisen und eigentlich alles, was die Dünnen auch mögen). Es gab ein oder zwei Texte von Menerva Hamadi, die das Thema irgendwie streiften, und das war es schon. In all den Jahren, in denen es den Biber gibt, waren Dicke so gut wie unsichtbar. Wie war das nochmal von wegen „alles dreht sich um die Dicken?“
Abgesehen davon: Phrasen wie “Haltet die fette Pappen”, das Wort Speckrollen und das unglaublich ausgelutschte Bild des trampelnden Elefanten lassen den Schluss zu, dass Ihre Samthandschuhe beim Schreiben des Artikels offenbar gerade in der Waschmaschine waren. Und nein, Diäten in diversen Zeitschriften publiziert man nicht aus Sorgen um die Dicken – schließlich weiß man seit Jahren, dass Diäten nicht funktionieren und allzuoft die Menschen in üble Essstörungen treiben. Diäten dienen eher dazu, Frauen von ihrem Körper zu entfremden, und sie klein und beschäftigt zu halten.

Wie redundant und wenig hilfreich solche “allen Dicken geht es gut und man geht auf uns Dünne los”-Texte sind, kann man auch in Lindy Wests Artikel auf jezebel.com nachlesen, der schon vor fast einem Jahr erschienen ist.

DelnaA

Ich finde es jedenfalls schade, dass Sie sich über schlechte Behandlung durch andere Frauen beschweren, es aber nicht schaffen, einen Kommentar zu schreiben, ohne selbst Gift zu versprühen. Und das dient der Sache nicht. Eine Konversation zum Thema Körperbewusstsein und Selbstliebe ist längst überfällig, vor allem in den heimischen Medien. Mit Texten wie diesen schießen Sie sich aber selbst ins Aus, was wirklich nicht sein muss – ich schätze Sie als engagierte und intelligente Journalistin, und frage mich, warum gerade jemand wie Sie einen so flapsigen, schlecht recherchierten und ziemlich undurchdachten Text zur Veröffentlichung frei gibt. Man reduziert sein eigenes Leid nicht, indem man das Leiden einer anderen Gruppe anerkennt. Im Gegenteil, es hilft einem, die Gemeinsamkeiten zu erkennen, und die Mechanismen, die dahinter stecken.

Wir leben in einer Kultur, in der Frauenkörper (und auch immer mehr Männerkörper) zum Objekt des öffentlichen Diskurses werden. Und, ja, manche Menschen (dick und dünn) reagieren auf Jahre der Kritik und Aggression ihnen gegenüber, in dem sie den Körperhass weitergeben (nochmals: das ist weder richtig noch produktiv). Wenn wir Körperhass und dumme Kommentare ein für alle Mal abschaffen wollen, müssen wir erkennen, dass wird das nur gemeinsam schaffen können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Frauen ohnehin gegeneinander aufgehetzt werden – Hausfrau gegen Karrierefrau, Inländerin gegen Migrantin, Schlanke gegen Dünne und so weiter, im Sinne des guten, alten divide et impera (teile und herrsche)-Prinzips. Das muss aber nicht sein. Ich war vor einem Monat in Tucson, Arizona, als einzige Europäerin bei der Body Love Conference, wo über 400 Frauen aller Figurentypen und Ethnien und Altergruppen sich über neue Strategien zum Thema body awareness ausgetauscht haben. Und ich finde, es wird höchste Zeit, dass man auch hierzulande beginnt, über das Thema zu diskutieren und neue Strategien zu entwickeln. Gemeinsam.

Schaffen Sie es, sich von Ihren Vorurteilen zu lösen und with an open mind auf das Thema Körperdiskriminierung und Selbstliebe zuzugehen? Ich habe vollstes Vertrauen in Sie, Frau Antia, und freue mich auf einen offenen, konstruktiven Dialog.