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Essay und Kommentar

Spiegel und Sonnenfältchenlächeltanz: zwei Gedichte

brigitte
Foto zum Gedicht „Spiegel“ von Elvira Rajek

spiegel

er sei dein spiegel, waren ihre worte.

nun, was er schön sieht, zählt.

meine augen zählen nicht. nur wenn sie ihm gehören.

meine schönen augen, ausdruckshaft, betonend und nicht hervorgehoben.

rot gerändert habe ich sie in ehrlicher schönheit.

und sie gehören nur ihm.

 

er soll dein spiegel sein, hat sie gesagt

mein unterer rücken ist nichts wert.

es sei denn, er lässt sich herab. ihn wahrzunehmen.

mein schönes rundes hinterteil. festgewandert, in form gelaufen.

nur durch ihn wird es sichtbar.

 

doch jahre kommen. ihre macht am schwinden.

und nach und nach verblasst ihr schleier vor meinen augen.

und meine macht beginnt.

und meine schönheit beginnt.

und ich werde mein spiegel

 

sonnenfältchenlächeltanz

sonnenfältchenlächelkranz

lädt dich ein zu meinem Tanz

augenrahmenbilderblick

hin und her, vor und zurück

strahlekrähengrinsefuss

dreh im kreis dich voll genuss

tälerblickebergebraun

tanz die schönheit aller frau´n

wimpernfächerschattenbild

sanft und wiegend, frech und wild

sonnenfältchenlächelkranz

meiner schönheit einen tanz

 

Zur Erklärung:

Vor einigen Jahren war ich Stipendiatin des Autorentheaterprojekts wiener wortstaetten, mit deren Unterstützung ich nicht nur mein erstes Stück reigen reloaded geschrieben habe, sondern auch mein erstes großes transmediales Kunstprojekt auf die Beine stellen konnte – Schönheit zum Quadrat. Ich habe in Wien – genauer gesagt im Planquadrat der Bezirke 4/5/6 Frauenorte gesucht (vom Bauchtanzstudio über die Fußballmannschaft und das feministische Veranstaltungszentrum bis zum Ladies Only-Sexshop) und dort Frauen aller Altersgruppen und Figurentypen über ihre ganz persönliche Schönheit befragt – diese Frauen mit all ihren individuellen Geschichten und Zugängen wurden für dieses Projekt zu meinen Musen.

Von den Interviews inspiriert, habe ich Texte geschrieben (die z.T. von der Komponistin und Kontrabassistin Birgit Selhofer vertont und bei der Vernissage von uns beiden vorgetragen wurden), Videos gedreht und ein (leider nicht mehr exisiterendes) kleines Blog erstellt. Außerdem habe ich Künstlerinnen eingeladen, die Teilnehmerinnen auch zu ihren Musen werden zu lassen – so haben u.a. die Fotografin Elvira Rajek, Autorin und Malerin Julya Rabinowich, Malerin Nina Hoechtl und andere die Bilder zu meinen Texten geliefert.

Die Idee hinter Schönheit zum Quadrat war, die Frauen einzuladen, eine Muse zu werden – und sich durch den Blick eine Künsterin vielleicht ein wenig anders zu sehen. Ich bin selbst ein paar Mal Modell gestanden, und weiß, wie transformierend es sein kann, sich selbst als eine Komposition als Licht und Schatten und Farbe und Form und Negativräumen zu sehen, und wollte anderen Frauen dieses Erlebnis auch ermöglichen. Es ging darum, den sehr engen Schönheitsbegriff des Mainstreams aufzubrechen, und das an sich selbst feiern, was man mag und schön findet, und es mit anderen zu teilen …

Warum ich das poste? Weil ich sehr überlege, das Projekt in neuer Form wieder aufzunehmen … genaueres weiß ich noch nicht, nur, dass ich es Radical Muse Project nennen will …

 

 

Groß(artig)er Bauch: Klage einer Yoga-Lehrerin

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Vor einiger Zeit habe ich einen Blogpost entdeckt, in dem die amerikanische Yogini Danielle Prohom Olson, Gründerin von Body Divine Yoga sich Gedanken macht, warum in unserer Zeit gerade der Bauch so zur Problemzone hochstilisiert wird. Auch wenn ich nicht alle Statements zu einhundert Prozent teile (und die Begriffe „männlich“ und „weiblich“ im Text eher im übertragenen Sinne verstehe), finde ich den Beitrag voller interessanter Denkansätze … (Originaltext: hier)

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Achten Sie einmal auf den armen Bauch – hochgezippt und in Mieder gepresst, sein Über-Stehen verachtet. Er ist der Underdog des Körpers, aber kaum jemand verteidigt ihn – nicht einmal Yogis. Man braucht nur „Bauch und Yoga“ zu googeln, und man findet hunderte und aberhunderte Webseiten, Kurse und DVD – alle widmen sich der Aufgabe, seine fleischigen Falten unwiederbringlich wegzublasen. Heute wünschen wir uns etwas, das man Waschbrettbauch nennt, und um den zu bekommen, dreht sich alles darum, Stärke und Kraft aus der Mitte zu kultivieren, und um das dritte Chakra, den Sitz unserer Willenskraft anzuheizen.

Frauen brauchen dabei offensichtlich Hilfe. Wir sind in der Bauchgegend von Natur aus gut ausgestattet, genauso wie im Brust- und Hinternbereich – was vielleicht signalisiert, dass Sex und Fett zusammengehören sollen? Und, sehen wir den Tatsachen ins Auge, ein überfließender, wackelnder und mit Grübchen versehener Bauch bedeutet eines: dass unser Appetit Amok läuft. Es scheint sinnlos zu leugnen, dass ein Waschbrettbauch Willenskraft bedeutet, während ein üppiger Umfang darauf hinweist, dass man den geistlosen Begehren des Körpers verfallen ist. Und solch lustvolles Benehmen ist eine der Hauptvorwürfe des Patriarchats an die Frauen. Wir alle seien Fleisch gewordene Versuchung, emotional, ursprünglich, uns fehlt die Disziplin.

Genau das stört mich an den Bildern, mit denen wir von der Yoga-Marketing-Maschine gefüttert werden. Sie sprechen von einem Ideal spiritueller Disziplin, in dem das Spiel „Entsagung“ heißt. Dieses Ideal hat seine Wurzeln in einer asketischen Tradition, die das Weltliche und den Körper – insbesondere den weiblichen Körper – verachtet.

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Der Niedergang des geheiligten Bauchs

Ich finde es bezeichnend, dass der Bauch, der einst als ein Symbol von Fülle und Fruchtbarkeit verehrt wurde, heutzutage so verschmäht wird. Die frühen Kulturen der Alt- und Jungsteinzeit produzierten einen nicht versiegenden Strom an weiblichen Figuren, Wandmalereien, Keramiken und Bildern, die alle einen großen, manchmal sogar einen gewaltigen Bauch aufwiesen. Man nimmt an, dass diese Bilder die große Muttergöttin darstellen, und ihr Berg von einem Bauch sagt wenig über die Erhabenheit von Erlösungsgedanken oder die Erbsünde. In diesen alten Kulturen galt alles als heilig – die Natur, die Sterne, die Steine, die Menschen. Sie waren alle ein Teil des Körpers der Großen Muttergöttin, die Leben gab, und sie schütze und nährte und liebte uns – ohne Einschränkungen. Wenn man sie ehrte, ging es nicht um Entbehrung und Sparsamkeit oder um Gehorsam, sondern darum, das Leben zu feiern und zu spüren – hier und jetzt. Soziologen schreiben unsere prähistorische Besessenheit mit Fett der Tatsache zu, dass es Überfluss verkörperte, in einer Zeit, in der Lebensmittel rar waren. Ich glaube, dass das noch tiefere Gründe hat. Ich glaube daran, dass diese Bäuche die einzigartige weibliche Fähigkeit feierten, nicht nur die Fülle des Lebens in sich aufzunehmen, sondern auch darin zu schwelgen und sie zu feiern. Lisa Sarasohn, Autorin von The Woman’s Belly Book (Bauchbuch für Frauen) schreibt, dass der Bauch der Großen Mutter die übernatürliche und wunder-bare Verbindung der Frauen zu „der Kraft, die Leben erschafft, nährt und erneuert“ verkörpert. Die üppigen Falten deuten nicht nur ihre Fähigkeit an, sich fortpflanzen zu können, sondern auch ihre Fähigkeit, sich selbst nähren zu können, ihre Wünsche und Begehren zu spüren und zu erfüllen. Ist es also ein Wunder, fragt die Autorin, dass vom Standpunkt der patriarchalen Autoritäten, die sich bemühen, Frauen zu kontrollieren, der Bauch immer mehr zu etwas Subversivem wurde?

Es ist kein Geheimnis, dass Frauen und körperliches Begehren schon lange in einem Topf geworfen und als böse gebrandmarkt werden. Sarasohn glaubt, dass der Hass auf den Bauch Teil eines kulturellen Angriffs ist, der „Frauenkörper als Objekte sieht, die es zu kontrollieren gilt.“ Die Agenda? Einen Krieg gegen die tiefste „Wissensquelle“ einer Frau zu führen – ihren Bauch.

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Die Teilung von Geist und Körper

Laut des Autors Philip Shepherd begann dieser Krieg damit, dass man die Große Mutter und ihren den Bauch umarmenden Zugang absetzte. Während es den Anhängern der Göttin um die heilige Ver-Körperung ging, wurde mit der Ankunft der patriarchalen Götter vor ca. 2000 Jahren das Körperliche besudelt und geschändet. Shephers neues Buch New Self, New World: Recovering our Senses in the 21st Century (Neues Selbst, neue Welt: im 21. Jahrhundert seine Sinne wiederentdecken) beschreibt detailliert, wie mit dem Aufstieg des Patriarchats das Zentrum des Bewusstseins (das weibliche Zentrum des Gefühls im Bauch) seinen Weg in den maskulin-isolierten, gefühlslosen Turm unserer Kopfes zu wandern begann. Das ist wichtig, weil Frauen im Laufe der niedergeschriebenen Geschichte mit dem Leben des Körpers gleichgesetzt wurden. Der Körper – und Frauen – wurden zu gefährlichen Ablenkungen, nicht nur für Verstand, Logik und das Denken, sondern auch für die spirituelle Reinheit. In dieser neuen Weltordnung war der Körper einer Frau nicht mehr heilig, sondern ein Hindernis auf dem Weg zur Erleuchtung. Gott war jetzt offiziell männlich, körperlos und „irgendwo da draußen“. Daraus ergibt sich das, was Shepherd als die „Hauptwunde unserer Kultur“ bezeichnet, nämlich die Aufspaltung von Körper und Geist. Denn während der Kopf das Denken und Handeln beherrscht, ist das Zentrum des Fühlens im Bauch, in den Eingeweiden. Und was wir verloren haben, ist unsere Verbindung zum weiblichsten Aspekt des Daseins – dem Fühlen. Das ist keine metaphorische Behauptung, sondern eine physiologische Tatsache.

Zwei Gehirne – Krieg der Geschlechter?

Die moderne Forschung auf dem Gebiet Magen-Darm hat enthüllt, dass wir zwei Gehirne haben, eines in unserem Kopf, das andere in unserem Bauch. Unser Bauch ist viel mehr als ein unintelligentes Verdauungsorgan. Er enthält ein Nervensystem, dass dem Hirn neurologisch in Sachen Struktur und Funktion derart ähnlich ist, dass es unser zweites Hirn genannt wird.

Die Wände unseres Darms enthalten hunderte Millionen an Nervenzellen (mehr als in der Wirbelsäule oder im periphären Nervensystem), und ihre Aufgabe ist es nicht, nachzudenken und Vernunft walten zu lassen, sondern zu „fühlen“. Dieses zweite Hirn ist nicht der Sitz bewusster Gedanken und des Entscheidungen Treffens, sondern es für das verantwortlich, was wir als Bauchgefühl oder Bauchinstinkt kennen.

Was passiert also, wenn wir den Bauch nicht als einen intelligenten Bereich betrachten, sondern als träge Masse, der vom Denker in unserem Kopf gelenkt wird? Laut Shepherd hat uns das „eingeschlossen in den Türmen unserer Hirne, denkend, analysierend, planend und rationalisierend“ zurückgelassen, abgeschnitten von der Natur, von den Gefühlen und vom Sein an sich. Shepherd zufolge ist das Kopfhirn das Zentrum des männlichen Aspekts des Bewusstseins, und das fühlende Bauchhirn das Zentrum des weiblichen Bewusstseinsaspekts. Heutzutage scheint es normal, dass der „ideengefüllte“ Kopf über den „gefühlsgefülten“ Bauch herrschen sollte, aber Shepherd erinnert, dass, wenn wir uns unsere volle Intelligenz zurückholen wollen, jedes Hirn seine Ergänzung oder Vervollkommnung durch das andere finden muss. Trotzdem betrachten wir von unseren kopfzentrierten Standpunkt aus den Bauch als etwas, dass man überwinden muss, und identifizieren Frauen und ihren Appetit als etwas, das man gezielt kontrollieren soll.

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Der Bauch im 21. Jahrhundert

Im Bauch ist unsere körperzentrierte Weisheit zu Hause – unser Bauchwissen und unser Sinn für Selbsterhaltung. Was bedeutet es also für uns Frauen, dass die lebensbekräftigende Präsenz des Bauchs von einer flachen, fett-losen, nach innen gewölbten Fläche zwischen hervorstehenden Hüftknochen ersetzt wurde? (Anm Rhea: ich glaube nicht, dass es der Autorin darum geht, Frauen zu kritisieren, die von Natur aus so gebaut sind, sondern eher um den Zwang, dass alle so aussehen müssen). Ich frage mich, ob es eine Verbindung zwischen den Hass auf Bäuche und der Tatsache gibt, dass hauptsächlich Frauen an Ess- und Verdauungsstörungen leiden. Warum sind wir nicht im Stande, Nährenswertes zu finden?

Frauenbäuche sind biologisch dazu programmiert, rund zu sein. Ihre sanften Fettpölsterchen sind dazu gedacht, unsere Fortpflanzungsorgane zu schützen, und ohne sie geraten unsere Hormone durcheinander, und wir werden schnell unfruchtbar. Kann es sein Fehlen des Bauchs einer der Gründe sein, dass Fortpflanzungsstörungen mehr und mehr zunehmen? Ist das Fehlen des fröhlichen Wackelns einer der Gründe, warum Frauen die Hauptverbraucher von Antidepressiva sind? Oder warum mehr und mehr Teen-Mädchen sich schneiden und selbst verstümmeln? Die psychologische Diagnose dieser Mädchen ist, dass sie verzweifelt danach sind, etwas zu „fühlen“ – egal, was es ist.

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Ich weiß, dass ich wahrscheinlich eine Menge an Kommentaren bekomme, die mich darauf hinweisen, dass zu viel Bauchfett ungesund sei und auf eine Überproduktion von Insulin hinweist, das von einem zu viel an Zucker und weißen Kohlenhydraten kommt (Anm Rhea: Meinung der Autorin, nicht meine). Und während ich das diese Realität anerkenne, spricht das trotzdem nicht mein Hauptbedenken an, nämlich das tief sitzende Unbehagen unserer Kultur gegenüber unseren Bäuchen. Wie Lisa Sarasohn hinweist, haben Frauen mehr und mehr begonnen, „an einer „Männerwelt“ teilzunehmen – und der Bauch, das sprichwörtliche und symbolische Zeichen weiblicher Kraft – wurde im Idealfall unsichtbar.“

Genau deshalb möchte ich „Yoga“ und „Bauch“ googeln können, und ganz neue und revolutionäre Links finden. Links, die uns Geschichten davon erzählen, wie es ist, sich nicht an patriarchale Ideale von Bauchkontrolle anzupassen, sondern alles heraushängen zu lassen. Und ich frage Sie: um was zu überwinden bauen wir denn so viel Kraft aus der Mitte auf? Ist es nicht an der Zeit, die heutige Agenda zu hinterfragen? Wir müssen uns erinnern, dass laut Autor und Yogalehrer Julian Walker (in seinem Essay im Buch 21st Century Yoga: Culture, Politics, and Practice) in der klassischen Sichtweise „ der Sinn von Yoga darin liegt, unsere Körper, Geist, Wünsche, Besitztümer und in der Tat all unsere Natur und die physische Welt zu überwinden“. Ist das nicht eine Sichtweise, aus der heraus Frauen früher nicht einmal erlaubt war, Yoga zu praktizieren, weil man sie für unrein und unkeusch hielt?

Ist das wirklich das, was wir wollen? Unsere Fähigkeit, und selbst zu nähren, zu gedeihen, und in dieser Welt freudig anwesend zu sein, steht auf dem Spiel.

Ich finde eine brauchbare Alternative und sichtbare Rollenmodelle in der weniger anerkannten Yoga-Tradition des Tantra. Die Tantra-Praktizierenden suchten das Göttliche innerhalb des Körpers, und die Wurzeln dieser Praktiken kann man bis zu frühen, die Muttergöttin verehrenden Kulturen zurückleiten. Ihre Göttinnen der Natur, der Liebe, der irdischen Fülle, der weiblichen Weisheit wurden durch die Jahrhunderte liebevoll und übergenau auf Tempeln und in Bildhauerkunst abgebildet. Und ihre Bäuche, geschmückt, verziert und mit Juwelen eingerahmt, sind ganz eigenständige erogene Zonen. Rund und hervortretend wie die herausragenden Brüste und füllige Hüften und Hintern, sprechen sie nicht von Askese und Verneinung, sondern von sinnlichen Vergnügungen des Lebens, und von der heiligen Natur der Verkörperung.

Danke an Danielle, dass ich den Text übersetzen und mit meiner Leserinnen teilen darf.

Quellen der Originalbilder: WikiCommons, Trade India,

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Neu auf fischundfleisch: Wohlfühlen in einem dicken Körper

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Wenn ich Dicke sehe, die behaupten, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen, regt mich das immer total auf. Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen – ich habe mich schon während meiner Schwangerschaft total unwohl gefühlt. Ich steh mit meiner Meinung nicht alleine da: eine Freundin ist dick und mag ihren Körper nicht, und die findet auch, dass diese angeblich glücklichen Dicken sich was vorlügen.

Du hast das Schlüsselwort zur Antwort selbst geliefert: DU kannst DIR das nicht vorstellen. Und das ist das Kernproblem der ganzen Diskussion. Weiterlesen: hier.

Keiner sagt mir – ein Brief an Kathi und Melanie

Keiner hat mir zu sagen, wie ich seiner Meinung nach auszusehen habe. Sollte mich die Meinung wirklich interessieren, frage ich schon nach. (c) Rhea Krcmarova
Keiner hat mir zu sagen, wie ich seiner Meinung nach auszusehen habe. Sollte mich die Meinung wirklich interessieren, frage ich schon nach. (c) Rhea Krcmarova

WTF*-Moment Nummer eins: Ich gehe zur Geburtstagsparty einer Frau, die ich für eine gute Freundin halte. Besagte Freundin ist lieb wie immer, eine ältere, schlanke Partybesucherin benimmt sich mir gegenüber seltsam kühl. Ich nehme es ihr nicht übel, es muss mich ja nicht jeder mögen. Einige Monate bekomme ich eine Facebook-Konversation zwischen meiner Freudin und der älteren Frau zugespielt, in der es um jenen Abend geht. Die Ältere (übrigens eine Psychotherapeutin mit eigener Praxis) und meine „Freundin“ lästern über mich auf eine Art, wie ich es noch nie erlebt habe. Phrasen wie „dicke Dita“ und „eine Zeitbombe, sozial total unangepasst, narzisstisch-exhibitorisch“ fliegen hin und her (ich schriebe nur deshalb mit, weil ich gerade Material für meinen Roman sammle). Die Therapeutin ätzt: „Solche Weiber verletzen eben soziale Angeppastheit, das mag ich nicht. Wenn man so aussieht wie sie … ein starkes Stück, denn das ist ist schon auch nicht normen-konform, diese Ausmasse“. Meine Freundin antwortet: „Eine totale Selbstüberschätzung, und wie wird man so dick und denkt noch, dass das schön ist?“ Daraufhin die Ältere: „Sie posiert, ist künstlich wie eine lebende Installation, eine aktionistische Performance … als Frau geht es eher schon ins Genre Perversion.“ Mein „Vergehen“ an jenem Abend? Ein etwas burlesque-inspiriertes Styling (bei weitem nicht das auffälligste Outfit des Abends, übrigens) und ein kurzer, freundlicher Wortwechsel dem Freund der „Freundin“, den ich von der Kunstuni kenne.

Als ich die Freunschaft für beendet erkläre, stellt meine „Freundin“ sich als Opfer dar. Sie könne ja gar nichts für ihre Bosheiten, sagt sie, meine Figur hätte einfach etwas in ihr „getriggert“, und alles sei deshalb nur meine Schuld. (*WTF – Abkürzung für what the f**k, in etwa: was zum Teufel soll das?)

WTF-Moment Nummer zwei: Ich gehe die Ubahnpassage am Praterstern entlang, in Richtung Treppe, als sich eine Frau mittleren Alters vor mir aufpflanzt, und mich mit durch die Unterführung hallender Stimme fragt, ob ich nicht finde, dass mein (knielanger) Rock nicht viel zu kurz sei für meine fetten Beine. Als ich mich umdrehe, um wortlos auf den vormittäglichen Bahnhofsvorplatz hinaufzugehen, bemerke ich den Biergeruch, der sich mit ihrem Atem vermischt …

WTF-Moment Nummer drei: Ich stehe am Straßenrand Ecke Mollardgasse und Esterhazygasse, warte brav, bis die Fußgängerampel zu grün überwechselt. Ein Auto mit einer älteren Lenkerin fährt vorbei, sie verlangsamt, gestikuliert. Ich brauche einige Momente, um zu verstehen, dass mir die Amateurpantomimin klarmachen will, dass sie mein Outfit unmöglich findet …

WTF-Moment Nummer vier: Ich (Mitte 20) gehe zu einer Housewarmingparty, und beschließe, mich nicht wie üblich hinter einem meiner schwarzen Rollis und langen dunklen Röcke zu verstecken, sondern mich auffälliger anzuziehen. Mehrere Mädels sprechen mich im Laufe des Abends auf meinen Look an, und immer wieder fällt das Wort „mutig“. Ich weiß, dass sie es nett meinen, aber ich beginne mich zu fragen, warum man mich mutig nennt, wenn ich mir einfach etwas anziehe, was mir gefällt …

Speak no evil …
Speak no evil …

An sich soll dieses Blog eine positive Platform sein, für uns Plus-Size-Frauen (und natürlich auch für unsere schlankeren Schwestern, die neue Inputs und Inspirationen suchen und über runde Powerfrauen lesen wollen). Als mich Kathi und Melanie, Journalistinnen und Bloggerinnen („Du hast Post“) gefragt haben, ob ich einen Beitrag zum Thema „Keiner sagt mir, dass …“ schreiben will, habe ich beschlossen, daus meinem Modus auszubrechen. Habe begonnen, mir Gedanken zu machen. Über Momente wie die oberen, über Situationen, wo andere Leute sich ungefragt in mein Leben einmischen wollten, über Schönheitsnormen und die Mainstream-Meinung und über ungebetene Kommentare. Sicher, je stärker mein Selbstbewusstsein nach außen strahlt, desto weniger blöde Bemerkungen macht man mir ins Gesicht (ich bin in der Regel süß und entzückend, aber als Autorin habe ich eine gut geschärfte Zunge, und das spüren die Kommentierer wohl instinktiv). Ganz komme ich den Anmerkungen und Anfeindungen aber nicht aus. Ich bekomme sie dann hintenrum zu hören, als Kommentar von dritten. Ich finde sie in Medien, wo man mir in jeder einzelnen Ausgabe erklärt, dass mein Aussehen falsch ist. In Geschäften, die entweder gar keine Mode in meiner Größe führen, oder wo die Plus-Mode signifikant anders aussieht als die normalen Größen, so, als wolle keine Frau ab Größe 44 keine Pailetten oder Spitze oder feminine Schnitte (nein, liebe Designer, der Geschmack hängt nicht mit dem Gewicht zusammen). In Modekatalogen und -Zeitschriften, wo die TexterInnen immer noch mit Worten wie Problemzonen und kaschieren um sich werfen. (WTF? Der Nahe Osten ist eine Problemzone, oder Fukushima, oder meinetwegen die Krim, aber sicher nicht mein Hintern oder andere Körperteile. Ist auf meinen Oberschenklen schon mal jemand bei einem Autobombenanschlag ums Leben gekommen? Nein? Ergo: Keine Problemzone).

Traurige Tatsache: wir leben in einer Kommentierkultur, sei es privat oder im Internet, im Freundeskreis oder in den Medien. Fast alle müssen sich irgendwann anhöre, dass sie etwas falsch machen. Dass sie die falsche Figur haben, die falschen Labels tragen, die falsche Musik hören, das falsche Essen kaufen und so weiter. Besonders ärgerlich: die Kommentierer machen sich in der Regel nicht einmal die Mühe, rauszufinden, was wirklich los ist. Sie sehen, sie urteilen, sie lassen ihre Meinung ab.

Think no evil …
Think no evil …

Die Frage ist, warum viele Menschen den Drang verspüren, das Aussehen und die Gestalt und überhaupt das Leben anderer kommentieren und kritisieren zu wollen, vor allem, wenn es keine direkten Auswirklungen auf ihr eigenes Leben hat. Warum zur Hölle fühlen sich Menschen bemüßigt, in jeder einzelnen Situation ihre Senftube rauszuholen? Ist es die Angst vor allem, was anders ist, aus der Norm fällt? Arroganz und Gedankenlosigkeit? Der Irrglaube, dass man Menschen durch Beschämen und Mobbing zur dauerhafter Verhaltensänderung bringen kann? Der Wunsch, sich überlegen zu fühlen? Sicher, wir leben in einem Land mit Meinungsfreiheit, aber heißt das wirklich, dass man jedem Menschen sagen muss, was man von ihm hält, ohne sich auch nur einen Moment Gedanken zu machen, ob die Meinung das Gegenüber auch nur ansatzweise interessiert?

Das Problem an der ständigen Kommentiererei und Urteilerei ist nicht nur, dass sie entsetzlich unhöflich sind.S ie erschaffen auch ein Klima der Angst. Ein Klima, dass es Menschen schwer macht, auszuleben, wer sie wirklich sind, und sie in die Angepasstheit drängt. Ein Klima, das schadet. Und nicht nur uns dicken Mädels. Es trifft auch die dünnen, die sich als Bohnenstange titulieren lassen müssen, und Angst haben, dass ihre Beine in einem kurzen Rock als zu knochig bezeichnet werden. Es trifft die älteren, die glauben, dass Mode, die ihnen eigentlich gefallen würde, für sie Tabu ist.

Vor ein paar Jahren habe ich auf einem Ostermarkt wunderbar kitschigen Strassschmuck bewundert, als eine alte Dame neben mir zu stehen gekommen ist. Sie hat mit leuchtenden Augen ein Armband hochgehoben und es ausprobiert. Ich habe ihr gesagt, wie hübsch das Schmuckstück ist und wie gut es ihr steht. Die alte Dame hat schnell das Armband abgestreift, gemurmelt, dass sie schon viel zu alt für „sowas“ sei, und ist gegangen – man hat richtig gesehen, wie das Strahlen, dass das bunte Schmuckstück in ihr Gesicht gezaubert hat, erloschen ist. Mir tut es bis heute leid, dass ich damals zu wenig Geld mithatte – ich hätte es sonst gekauft, wäre ihr nachgelaufen und hätte es ihr geschenkt, auch auf die Gefahr hin, dass es in irgendeiner Schublade verschwindet. Wobei, vielleicht hätte sie es getragen. Hätte Freude daran gehabt. Hätte ihrem Umfeld gezeigt: ich trage, was mir gefällt, egal, was ihr denkt.

Und hätte andere damit angesteckt, und ein weiteres Zeichen gesetzt, gegen Genörgel und Urteilen und die ständige, sinnlose Kommentiererei.

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