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Radical Self Love

Keiner sagt mir – ein Brief an Kathi und Melanie

Keiner hat mir zu sagen, wie ich seiner Meinung nach auszusehen habe. Sollte mich die Meinung wirklich interessieren, frage ich schon nach. (c) Rhea Krcmarova
Keiner hat mir zu sagen, wie ich seiner Meinung nach auszusehen habe. Sollte mich die Meinung wirklich interessieren, frage ich schon nach. (c) Rhea Krcmarova

WTF*-Moment Nummer eins: Ich gehe zur Geburtstagsparty einer Frau, die ich für eine gute Freundin halte. Besagte Freundin ist lieb wie immer, eine ältere, schlanke Partybesucherin benimmt sich mir gegenüber seltsam kühl. Ich nehme es ihr nicht übel, es muss mich ja nicht jeder mögen. Einige Monate bekomme ich eine Facebook-Konversation zwischen meiner Freudin und der älteren Frau zugespielt, in der es um jenen Abend geht. Die Ältere (übrigens eine Psychotherapeutin mit eigener Praxis) und meine „Freundin“ lästern über mich auf eine Art, wie ich es noch nie erlebt habe. Phrasen wie „dicke Dita“ und „eine Zeitbombe, sozial total unangepasst, narzisstisch-exhibitorisch“ fliegen hin und her (ich schriebe nur deshalb mit, weil ich gerade Material für meinen Roman sammle). Die Therapeutin ätzt: „Solche Weiber verletzen eben soziale Angeppastheit, das mag ich nicht. Wenn man so aussieht wie sie … ein starkes Stück, denn das ist ist schon auch nicht normen-konform, diese Ausmasse“. Meine Freundin antwortet: „Eine totale Selbstüberschätzung, und wie wird man so dick und denkt noch, dass das schön ist?“ Daraufhin die Ältere: „Sie posiert, ist künstlich wie eine lebende Installation, eine aktionistische Performance … als Frau geht es eher schon ins Genre Perversion.“ Mein „Vergehen“ an jenem Abend? Ein etwas burlesque-inspiriertes Styling (bei weitem nicht das auffälligste Outfit des Abends, übrigens) und ein kurzer, freundlicher Wortwechsel dem Freund der „Freundin“, den ich von der Kunstuni kenne.

Als ich die Freunschaft für beendet erkläre, stellt meine „Freundin“ sich als Opfer dar. Sie könne ja gar nichts für ihre Bosheiten, sagt sie, meine Figur hätte einfach etwas in ihr „getriggert“, und alles sei deshalb nur meine Schuld. (*WTF – Abkürzung für what the f**k, in etwa: was zum Teufel soll das?)

WTF-Moment Nummer zwei: Ich gehe die Ubahnpassage am Praterstern entlang, in Richtung Treppe, als sich eine Frau mittleren Alters vor mir aufpflanzt, und mich mit durch die Unterführung hallender Stimme fragt, ob ich nicht finde, dass mein (knielanger) Rock nicht viel zu kurz sei für meine fetten Beine. Als ich mich umdrehe, um wortlos auf den vormittäglichen Bahnhofsvorplatz hinaufzugehen, bemerke ich den Biergeruch, der sich mit ihrem Atem vermischt …

WTF-Moment Nummer drei: Ich stehe am Straßenrand Ecke Mollardgasse und Esterhazygasse, warte brav, bis die Fußgängerampel zu grün überwechselt. Ein Auto mit einer älteren Lenkerin fährt vorbei, sie verlangsamt, gestikuliert. Ich brauche einige Momente, um zu verstehen, dass mir die Amateurpantomimin klarmachen will, dass sie mein Outfit unmöglich findet …

WTF-Moment Nummer vier: Ich (Mitte 20) gehe zu einer Housewarmingparty, und beschließe, mich nicht wie üblich hinter einem meiner schwarzen Rollis und langen dunklen Röcke zu verstecken, sondern mich auffälliger anzuziehen. Mehrere Mädels sprechen mich im Laufe des Abends auf meinen Look an, und immer wieder fällt das Wort „mutig“. Ich weiß, dass sie es nett meinen, aber ich beginne mich zu fragen, warum man mich mutig nennt, wenn ich mir einfach etwas anziehe, was mir gefällt …

Speak no evil …
Speak no evil …

An sich soll dieses Blog eine positive Platform sein, für uns Plus-Size-Frauen (und natürlich auch für unsere schlankeren Schwestern, die neue Inputs und Inspirationen suchen und über runde Powerfrauen lesen wollen). Als mich Kathi und Melanie, Journalistinnen und Bloggerinnen („Du hast Post“) gefragt haben, ob ich einen Beitrag zum Thema „Keiner sagt mir, dass …“ schreiben will, habe ich beschlossen, daus meinem Modus auszubrechen. Habe begonnen, mir Gedanken zu machen. Über Momente wie die oberen, über Situationen, wo andere Leute sich ungefragt in mein Leben einmischen wollten, über Schönheitsnormen und die Mainstream-Meinung und über ungebetene Kommentare. Sicher, je stärker mein Selbstbewusstsein nach außen strahlt, desto weniger blöde Bemerkungen macht man mir ins Gesicht (ich bin in der Regel süß und entzückend, aber als Autorin habe ich eine gut geschärfte Zunge, und das spüren die Kommentierer wohl instinktiv). Ganz komme ich den Anmerkungen und Anfeindungen aber nicht aus. Ich bekomme sie dann hintenrum zu hören, als Kommentar von dritten. Ich finde sie in Medien, wo man mir in jeder einzelnen Ausgabe erklärt, dass mein Aussehen falsch ist. In Geschäften, die entweder gar keine Mode in meiner Größe führen, oder wo die Plus-Mode signifikant anders aussieht als die normalen Größen, so, als wolle keine Frau ab Größe 44 keine Pailetten oder Spitze oder feminine Schnitte (nein, liebe Designer, der Geschmack hängt nicht mit dem Gewicht zusammen). In Modekatalogen und -Zeitschriften, wo die TexterInnen immer noch mit Worten wie Problemzonen und kaschieren um sich werfen. (WTF? Der Nahe Osten ist eine Problemzone, oder Fukushima, oder meinetwegen die Krim, aber sicher nicht mein Hintern oder andere Körperteile. Ist auf meinen Oberschenklen schon mal jemand bei einem Autobombenanschlag ums Leben gekommen? Nein? Ergo: Keine Problemzone).

Traurige Tatsache: wir leben in einer Kommentierkultur, sei es privat oder im Internet, im Freundeskreis oder in den Medien. Fast alle müssen sich irgendwann anhöre, dass sie etwas falsch machen. Dass sie die falsche Figur haben, die falschen Labels tragen, die falsche Musik hören, das falsche Essen kaufen und so weiter. Besonders ärgerlich: die Kommentierer machen sich in der Regel nicht einmal die Mühe, rauszufinden, was wirklich los ist. Sie sehen, sie urteilen, sie lassen ihre Meinung ab.

Think no evil …
Think no evil …

Die Frage ist, warum viele Menschen den Drang verspüren, das Aussehen und die Gestalt und überhaupt das Leben anderer kommentieren und kritisieren zu wollen, vor allem, wenn es keine direkten Auswirklungen auf ihr eigenes Leben hat. Warum zur Hölle fühlen sich Menschen bemüßigt, in jeder einzelnen Situation ihre Senftube rauszuholen? Ist es die Angst vor allem, was anders ist, aus der Norm fällt? Arroganz und Gedankenlosigkeit? Der Irrglaube, dass man Menschen durch Beschämen und Mobbing zur dauerhafter Verhaltensänderung bringen kann? Der Wunsch, sich überlegen zu fühlen? Sicher, wir leben in einem Land mit Meinungsfreiheit, aber heißt das wirklich, dass man jedem Menschen sagen muss, was man von ihm hält, ohne sich auch nur einen Moment Gedanken zu machen, ob die Meinung das Gegenüber auch nur ansatzweise interessiert?

Das Problem an der ständigen Kommentiererei und Urteilerei ist nicht nur, dass sie entsetzlich unhöflich sind.S ie erschaffen auch ein Klima der Angst. Ein Klima, dass es Menschen schwer macht, auszuleben, wer sie wirklich sind, und sie in die Angepasstheit drängt. Ein Klima, das schadet. Und nicht nur uns dicken Mädels. Es trifft auch die dünnen, die sich als Bohnenstange titulieren lassen müssen, und Angst haben, dass ihre Beine in einem kurzen Rock als zu knochig bezeichnet werden. Es trifft die älteren, die glauben, dass Mode, die ihnen eigentlich gefallen würde, für sie Tabu ist.

Vor ein paar Jahren habe ich auf einem Ostermarkt wunderbar kitschigen Strassschmuck bewundert, als eine alte Dame neben mir zu stehen gekommen ist. Sie hat mit leuchtenden Augen ein Armband hochgehoben und es ausprobiert. Ich habe ihr gesagt, wie hübsch das Schmuckstück ist und wie gut es ihr steht. Die alte Dame hat schnell das Armband abgestreift, gemurmelt, dass sie schon viel zu alt für „sowas“ sei, und ist gegangen – man hat richtig gesehen, wie das Strahlen, dass das bunte Schmuckstück in ihr Gesicht gezaubert hat, erloschen ist. Mir tut es bis heute leid, dass ich damals zu wenig Geld mithatte – ich hätte es sonst gekauft, wäre ihr nachgelaufen und hätte es ihr geschenkt, auch auf die Gefahr hin, dass es in irgendeiner Schublade verschwindet. Wobei, vielleicht hätte sie es getragen. Hätte Freude daran gehabt. Hätte ihrem Umfeld gezeigt: ich trage, was mir gefällt, egal, was ihr denkt.

Und hätte andere damit angesteckt, und ein weiteres Zeichen gesetzt, gegen Genörgel und Urteilen und die ständige, sinnlose Kommentiererei.

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Crowdfunding für neues, positives Körperbewusstsein

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Crowdfunding, also die Finanzierung von Projekten mit Hilfe von UnterstützerInnen im Internet, ist eine wunderbare Sache – gerade für Kuntsprojekte, Dokufilme oder Sachbücher, die den Chefs großer Medienfirmen aus diversen Gründen als zu heikel erscheinen, um sie umsetzen zu können. Vor einigen Tagen haben die Filmemacherinnen von Fattitude es geschafft, trotz massivem Mobbings durch fettenfeindliche Trolle die Finanzierung für ihren Dokufilm über das Bild dicker Menschen in den Medien aufzustellen.

Zwei spannende Projekte zum Thema neues Körpergefühl suchen im Moment nach Unterstützerinnen, um das Licht der Welt erblicken zu können. Via Kickstarter sammelt die Australierin Taryn Brumfitt Geld, um ihren Dokufilm Embrace (Umarmung) drehen zu können. Die Amerikanerin Hanne Blank sucht via Indiegogo nach LeserInnen für ihr Projekt 52 Weeks to Your Best Body Ever .

Taryn Brumfitt ist mehrfache Mutter und Gründerin der australischen Bewegung Body Image Movement. Die dreifache Mutter verbrachte Jahre damit, ihren Körper zu hassen. Als ihr klar wurde, dass sie ihren Kindern kein gutes Vorbild war, begann sie, ihren Körper lieben zu lernen. Und merkte schnell, wie schwer es in unserer Gesellschaft ist, sich zu mögen, wenn man nicht „perfekt“ ist.

„Frauen und Mädchen werden ständig zurückgehalten, und man redet ihnen ein, dass sie nicht so gut sind, wie sie sein könnten. Warum? Weil wir jeden Tag daran gemessen werden, wie wir aussehen, und wie weit dieses Aussehen von einem unerreichbaren Ideal entfernt ist. Nimm ab, glätte deine Falten, bekämpfe deine Cellulite – ständig erzählt man uns, wir sollen jemand anderer sein, als wir sind. Exzessiver Einsatz von Photoshop, die Sexualisierung von Frauen in den Medien, und Werbekampagnen, die auf die Unsicherheiten der Frauen abzielen – kein Wunder, dass es auf dieser Welt eine Kultur des Schams und Körperhasss gibt, die empidemische Ausmaße erreicht hat.

Taryns Antwort auf eine Kultur der Selbstzerfleischung: ein Film, der allen Frauen die Augen öffnen und ihnen auf ihrem Weg zur Selbstliebe helfen soll.

Konkrete Lösungsansätze gegen die Selbsthassepidemie bietet Hanne Blank. Die Amerikanerin eine beliebte Vortragende zum Thema Selbstliebe, Unilektorin und Autorin von Büchern wie Big Big Love und The Unapologetic Fat Girl´s Guide to Excercise (auf Deutsch etwa: Workoutbuch für dicke Mädels, die sich nicht mehr entschuldigen). Ihr neues Project nennt sie 52 weeks to your best body ever (also 52 Wochen für den besten Körper, den du je hattest). Blank hat den Titel nicht zufällig gewählt. Was auf den ersten Blick wirkt wie noch ein reißerisch aufgemachter Diätplan, ist ein Programm zum Thema Selbstliebe, und zwar radikal. Auf ihrer Indiegogo-Seite schreibt sie: „52 Weeks to Your Best Body Ever bietet 52 wöchentliche Kapitel, jedes davon zu einem anderen Thema, das mit Körperbewusstsein und radikaler Selbstakzeptanz zu tun hat (jeder Menge fröhlicher Spielereien inklusive). Die LeserInnen bekommen ein Buch in 52 Kapiteln, eines pro Woche. Jedes Kapitel birgt eine große Dosis Körperliebe, neue Perspektiven, Einsichten, Experimente, Zen und generelles Badass-sein, die helfen werden, sich in der eigenen Haut auf das Wunderbarste wohl zu fühlen.“

Zum Nachlesen: noch mehr Berichte zur Body Love Conference

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Noch mehr Blogposts über die Body Love Conference – hier kann man auch mehr über die anderen Workshops erfahren, die ich mangels ausgereifter Klon-Technologie leider nicht besuchen konnte …

Organisatorin Jes von The Militant Baker

Prezi-Präsentation und Blogpost von Rachel Goldin

Bloggerin und Sprecherin Michelle Merrfeld

Amanda von Mother of Ambition

Autorin Jennifer Chambers

Gretchen von Grrl with Boys

Fotografin Liora K

Dana und Hilary von Be Nourished

Bauchtänzerin Sofia Ravenna

Jennifer von Go forth, be awesome

Body Love Conference

 Programmheft der Body Love Conference – (fast) alle Fotos (c) Rhea Krcmárová
Programmheft der Body Love Conference – (fast) alle Fotos (c) Rhea Krcmárová

Wenn man wie ich behauptet, dass man sich in einem dicken Körper wohl fühlen und besagten Körper sogar lieben lernen kann, steht man hierzulande (noch) ziemlich alleine auf weiter Flur – die body positivity-Bewegung steckt in Europa, wie man so schön sagt, noch in den Kinderschuhen. Umso mehr tut sich im englischsprachigen Ausland, besonders in den USA und in Kanada.

 

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Das Auditorium füllt sich – über 400 Frauen fanden ihren Weg nach Tucson, Arizona

Da gibt es zum Beispiel die Bloggerin Jes Baker (The Militant Baker), einem breiteren Publikum im Zuge des Abercrombie&Fitch-Skandals zum Begriff geworden. Nachdem Abercrombie-CEO Mike Jeffries dicke Frauen als uncoole Randgruppe bezeichnet hat, die sich ja nicht unterstehen sollten, seine Mode zu tragen, hat Jess mit einem offenen Brief und der „Attractive & Fat„-Fotokampagne (einer Parodie auf die Werbesujets von A&F) geantwortet.

Eine andere Plus-Aktivistin ist Model Tess Munster. In einer Zeit, in der man in der Modebranche schon mit Größe 40 als Repräsentantin der Übergrößen gilt, hat die Mutter eines Sohnes mit ihrer Kleidergröße 52 eine bemerkenswerte Karriere hingelegt und die #effyourbeautystandards-Kampagne gegründet.

Dann gibt es noch Chrystal Bougon, Besitzerin von Curvy Girl Lingerie, Huffington-Post-Kolumnistin, die normale Frauen ermutigte, sich in hübschen Dessous zu fotografieren und die unretuschierten Bilder auf ihrer Facebook-Seite zu posten. Und Internet-Tanzsensation Whitney Thore, Gründerin der No Body Shame-Kampagne. Und Burlesque-Tänzerin The World Famous *BOB*, deren inspirierenden Selflove-Workshop ich vor zwei Jahren in NYC besucht habe. Und Dichterin und Aktivistin Sonya Renee Taylor von The Body is not an Apology. Und die Kanadierin Louise Green, Gründerin der Plus-Size-Fitnesscenterkette Body Exchange. Und und und …

 

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Damit diese Frauen sich nicht nur im virtuellen Raum vernetzen, hat Jes mit Hilfe einer Gruppe engagierter Freiwilliger in ihrer Heimatstadt Tucson die Body Love Conference auf die Beine gestellt, und viele der viele der Bloggerinnen und Aktivistinnen, deren Arbeit ich seit längerer Zeit verfolge, als Sprecherinnen eingeladen. Ich wollte unbedingt nach Arizona fliegen, auch, weil ich an einem neuen Kunstprojekt zum Thema Körper und Schönheit arbeite (mehr zu „The Radical Muse Project“ demnächst). Man kann sich also meine Aufregung und Freude vorstellen, als ich zehn Tage vor der Konferenz die Verständigung vom Kulturministerium bekam, dass man mir ein Reisestipendium nach Arizona genehmigt hatte, dass ziemlich genau für Flug, Unterkunft und die Teilnahmegebühren an der Konferenz reichen würde.

Was ich so an mir mag – "& more" ist inzwischen eine lange Liste
Was ich so an mir mag – „& more“ ist inzwischen eine lange Liste

Vierhundert Nordamerikanerinnen und eine Europäerin

Die weltweit erste Body Love Conference fand also am 5. April im Kongresszentrum der Uni in Tucson, Arizona statt. Über vierhundert Frauen aller Hautfarben, Altersgruppen und Körpertypen kamen nach Tucson, von Schülerinnen bis zu Pensionistinnen, von Körpertyp Waldelfchen bis Kleidergröße Wagnersopran, aus allen Teilen der USA und einige sogar aus Kanada. (Ich war die einzige Europäerin im Raum, und dass ich extra aus Wien zur Konferenz angereist bin, war Jes eine Erwähnung in ihrer Eröffnungsrede wert).

"Wie wir unsere Körper sehen, bestimmt, wie wir an der Welt teilnehmen"
„Wie wir unsere Körper sehen, bestimmt, wie wir an der Welt teilnehmen“

Bei der Registrierung bekam jede von uns ein Namensschildchen, auf dem wir eintragen konnten, was wir an uns alles liebten. Ziemlich viele Frauen schrieben einfach „myself“ oder „my body“, andere konzentrierten sich auf einen oder mehrere Lieblings-Aspekte.

Die eigentliche Veranstaltung begann mit einer Eröffnungsrede von Organisatorin Jes Baker. Sie sprach davon, warum es so wichtig ist, die herrschenden negativen Selbstbilder zu hinterfragen, und zu transformieren. Um zu belegen, wie wichtig eine Body Love Revolution ist, fragte sie das Publikum, wer sich und seinen Körper eigentlich zu einundert Prozent mag. Gerade zwanzig Hände reckten sich in die Höhe, kaum fünf Prozent der Anwesenden.

 

Jes Baker bei ihrer Eröffnungsrede, mit einer Auswahl der Statements, die sie wegen ihrer Körperform zu hören bekommt
Jes Baker bei ihrer Eröffnungsrede, mit einer Auswahl der Statements, die sie wegen ihrer Körperform zu hören bekommt

Jes sprach dann von den Folgen eines negativen Körperbilds, von den persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Selbsthass wie Eßstörungen oder Despression, und davon, dass viel zu viele Frauen ein Leben in der Warteschleife leben. „Wir alle kämpfen einen Kampf, den wir eigentlich gar nicht kämpfen sollten.“

Nach Jes waren die Expertinnen an der Reihe, Vormittags und Nachmittags standen je zwei Blöcke mit Vorträgen und Workshop am Programm. Die Themen der Präsentationen reichten von Body Love Yoga, Körperliebe nach der Geburt eines Babys, Body Acceptance durch Creative Writing, über Burlesque für Anfängerinnen, Selbstliebe nach sexueller Gewalt, Heilung von Essstörungen, Erziehung von körper-positiven Kindern bis zu Quigong für alle, Sinnlichkeit und Behinderung, Karriere für kurvige Frauen und mehr. Ich hätte mich am liebsten geklont, um an möglichst vielen Veranstaltungen teilnehmen können.

 

exy, kurvig und engagiert: Chrystal Bougon von Curvy Girl Lingerie
exy, kurvig und engagiert: Chrystal Bougon von Curvy Girl Lingerie

Vortrag eins: Hot sex and the curvy girl

Chrystal Bougon, einst Programmiererin im Silicone Valley, ist seit zwei Jahren die Besitzerin der einzigen amerikanischen Dessous-Boutique für große Größen. Einem breiteren US-Publikum bekannt geworden ist sie letztes Jahr, als sie eine Fotokampagne ins Leben gerufen und „normale“ Frauen ermutigt hat, sich in Dessous ablichten zu lassen – und damit den Zorn der selbst ernannten „Fitness-Expertin“ Maria Kang auf sich gezogen hat. Kang echauffierte sich öffentlich, Chystals Aktion „verharmlose Fettleibigkeit“ und schleuderte auch sonst mit den üblichen Vorurteilen um sich. Chrystal, nach eigenen Angaben vollkommen gesund, stellte sich den Anschuldigungen der „Fit Mom“, wurde von sämtlichen US-Medien portraitiert, und steigerte über Nacht den Umsatz von Curvy Girl Lingerie um über 500%. Auch eine produktive Art, mit negativen Vorurteilen umzugehen.

Chrystal, die zwischen ihrer Tech-Karriere und der Eröffnung ihrer Boutique ein Jahrzehnt lang sehr erfolgreich Heimpartys für erotische Spielsachen veranstaltet hat, ist auf einer Mission: sie möchte Frauen beibringen, wie gut sie sich in ihren Körpern fühlen können. Ziemlich unverblümt redete sie über Sexspielzeug, Höhepunkte und darüber, dass sie mit ihren gut 300 Pfund ein tolles Liebesleben mit einem jüngeren Partner hat. „Ein Weg, sich selbst lieben zu lernen, ist, sich auf das Vergnügen zu konzentrieren, das einem der eigene Körper bereiten kann.“

Votrag zwei: Fearless Fitness and No Limits Living

Auch die Kanadierin Louise Green ist auf einer Mission: sie möchte runderen Frauen Fitness näherbringen, und zwar auf eine ganz neue Art, abseits von Diätzwängen und Kalorienzählen. Louise, deren Liebe zu Sport ihr aus einer dunklen Lebensphase voller Selbstzerstörung geholfen hat, erschafft mit ihrem Fitnesscenterkette Body Exchange (die es bisher in Kanada gibt, die bald aber auch in die USA expandieren soll) geschützte Räume, wo dicke Menschen die Freude an der Bewegung und am eigenen Körper wiederentdecken und stärken können. Sie sprach über die Hemmschwellen, die Dicke beim Beginn eines Trainingsprogramms überwinden müssen, und die manche davon abschrecken, überhaupt Sport zu treiben (Vorurteile, ahnungslose Trainer, dumme Kommentare, die Befürchtung, auch als sportlicher Mensch als Anfänger abgestempelt zu werden und mehr). Die Fitness-Expertin beklagte auch die einseitigen Bilder der Medien und vor allem der Sportartikelhersteller. „Je mehr sich die Leute in den Werbungen wiedererkennen, desto eher kaufen sie die Produkte.“ Weise Worte …

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Nudeln & Netzwerken

Beim Mittagessen (Salate, vegerarische Pasta und ungesüßter Eistee) hatte ich unter anderem die Gelegenheit, mit „Fat Chick Dancing“ Whitney Thore und der Vortragenden Jennifer Chambers („The Self Advocacy Toolbox – Steps for an Empowered Life“) und ganz kurz auch mit Model Tess Munster zu plaudern. Das Jes und ihre Mutter und Großmutter an meinem Tisch saßen, war ein zusätzliches Vergnügen.

 

Ich habe selten so viele tolle Tattoos auf einen Haufen gesehen wie bei der BLC
Ich habe selten so viele tolle Tattoos auf einen Haufen gesehen wie bei der BLC

Model und Kämpferin, Tragödien und Triumphe

Nach der Mittagspause kam ein Vortrag der besonderen Art. Tess Munster, Plus-Size-Model und Gründerin der #effyourbeautystandards-Kampagne, erzählte, wie sie es schaffte, sich nach oben zu kämpfen und sich ihren Traum vom Modeln zu erfüllen. Wie es ihr gelang, eine Kindheit mit einem gewalttätigen Stiefvater und massivem Mobbing in der Schule hinter sich zu lassen und sich als alleinerziehende Mutter und mit einer in der Branche unerhörten Kleidergröße 52 zu etablieren, mit Fotografen wie David LaChapelle zu arbeiten und von der italienischen Vogue unter die besten zehn Plus-Models gewählt zu werden.

Tess sprach auch offen über das Mobbing, dass ihr online entgegenschwappt, über die Tage, an denen sie sich gar nicht glamourös fühlt, über ihre Erfahrungen in der Modebranche und über frühre Aufträge, die sie heute nicht mehr annehmen würde.

Besonders berührend: Tess´ Mutter, seit einer besonders grausamen Attacke ihres Exmannes körperlich behindert, konnte die Rede ihrer Tochter und die begeisterten Reaktionen des Publikums via Skype miterleben.

Elizabeth Deneau, Modeschöpferin und Gründerin des Labels Candy Strike, trägt ihre eigenen Entwürfe
Elizabeth Deneau, Modeschöpferin und Gründerin des Labels Candy Strike, trägt ihre eigenen Entwürfe

Vortrag drei: Mode und persönlicher Stil für jeden Körper

Elizabeth „Liz“ Denneau, Modeschöpferin aus Tucson und Gründerin des Labels Candy Stike, ist eine Fashionista durch und durch. Ihre Liebe zu Mode und zu ungewöhnlichen Kreationen merkte man ihrem Vortrag an. Sie erzählte zuerst über ihren modischen Werdegang, und widmete sich dann den verschiedenen Körpertypen, gab Tipps, wie man seine Vorzüge am besten betont und verriet, warum man in Sachen Figur oft ein Mischtyp ist. Ihr Motto: „Zeig deine wunderschönen Kurven.“ (Ein ausführliches Interview mit Liz ist übrigens in Planung).

 

Die charmante Liora K, Fotografin, Votratgende und Mitorganisatorin der BLC
Die charmante Liora K, Fotografin, Votratgende und Mitorganisatorin der BLC

Votrag vier: Warum Boudoir-Fotografie?

Den letzte Vortrag des Tages hielt die Fotografin Liora K., aus Tucson. Ich kenne Lioras fotografische Arbeiten von Jes´Blog, und war gespannt auf ihren Vortrag. Liora erzählte von der Geschichte von Boudoir-Abbildungen, gab Tipps, wie man die besten FotografInnen für ein Shooting findet, und verriet, warum es so immens wichtig ist, dass man solche Bilder in erster Linie für sich selbst macht, und dann erst für einen eventuellen Partner. Ihr Credo: „Die Bilder sollen dir gefallen, und du sollst dich wohl fühlen, damit deine wahre Schönheit sichtbar wird.“

Der Tag endete mit einer kurzen Ansprache von Jes, und dem Versprechen, dass es auch nächstes Jahr eine Konferenz geben werde: noch größer, und vor allem mit mehr Zeit für Workshops. Das Publikum applaudierte begeistert …

PS: Am Abend nach der Konferenz gab es noch eine ganz fantastische Revue, mit Burlesque, Akrobatik, Tribal Bauchtanz, Gesang und mehr, moderiert von World Famous *BOB*. Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Mal …

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#smashthescale

(c) Rhea Krcmarova
(c) Rhea Krcmarova

Actually, I smashed my scale years ago, and it made me happier, stronger and healthier.

Ich habe meine Waage vor Jahren zertrümmert (na gut, umweltfreundlich entsorgt), und es hat mich glücklicher, stärker und glücklicher gemacht.

Neujahrsvorsatz: Zertrümmert die Waage

In Sachen Selbstliebe und Body Positivity ist der Jänner wohl die herausforderndste Zeit des Jahres. Kaum eine Zeitschrift, Zeitung oder Webmagazin, die ohne die üblichen Neujahrsvorsatzartikel auskommen. Die Tipps und Texte sind jedes Jahr erschreckend gleich: Hunger dir die Kilos ab, schlepp dich in die Kraftkammer, und du wirst hübscher aussehen und dich glücklicher fühlen und ein besserer Mensch werden und überhaupt. Beigefügt werden Kalorientabellen und Rezepte für besseres Fasten, Turnübungen und Durchhalteparolen. Obwohl an sich klar ist, dass die Diäten in der Regel nach spätestens zwei Wochen scheitern und die in Anfällen von nachweihnachtlichem schlechten Gewissen gekauften Fitnesscentermitgliedskarten für den Rest des Jahres in den Geldbörsen verstauben werden, wiederholen sich die Rituale Jahr um Jahr.

 

Fotos (c) Body Love Conference
Fotos (c) Body Love Conference

Gott sei Dank wird aber immer mehr Menschen klar, dass die Zahl auf der Waage und Zwangssport im Kalorienkrampf ziemlich wenig mit Gesundheit, Fitness und dem allgemeinen Wert eines Menschen zu tun haben. Zu den Frauen, die einen neuen Zugang zu sich und ihrem Körper suchen, gehört die wunderbare US-Bloggerin (The Militant Baker) und eine der Initiatorinnen der kommenden Body Love Conference, Jess Baker. Sie hat die Initiative „Smash the Scale“ ins Leben gerufen, um Frauen zu helfen, mit der Diätmentalität Schluss zu machen. „Es geht nicht darum, ungesund zu sein“, schreibt Jess. „Es geht darum, zu entscheiden, was deine eigene Definition von schön ist, und zu wissen, dass das völlig ausreicht.“

 

aDass Jess mit ihrem Aufruf einen Nerv getroffn hat, zeigt sich auch daran, dass sich nicht nur Plus-Size-Frauen an der Aktion beteiligen. Die Figuren der Damen, die mit Vorschlaghämmern gegen die lästigen Wiegeinstrumente vorgehen, reichen von zierlich bis wirklich üppig, ganz im Sinne von Jess. Smash the scale richtet sich nämlich an Frauen jedes Alters und jeglicher Kleidergröße, ist für alle bestimmt, die aus dem Teufelskreis von Selbstkritik und Schuldgefühlen aussteigen wollen. Die Aktion ist ist „für jedes Mädchen, die über die Toilette gebeugt ist und den Altar des Dünnseins anbetet“, schreibt Jess. „Für jeden Teen, die sich nachts in den Schlaf weint, weil sie nicht gut genug ist, und nicht weiß, warum. Für jedes Kind, dass nicht wusste, dass es fett war, bis es ihm jemand gesagt hat. Für jede Frau, die hofft, dass Glück auf der anderen Seite der Pillenflasche liegt. Für jeden Menschen, der aufgehört hat zu essen, obwohl er noch hungrig war . (…) Für jede Frau, die glaubt, sie ist erst dann der Liebe wert, wenn ihre Schenkel schmäler sind. Für jede Frau, die die Tränen zurückhält, wenn sie Jeans anprobiert. Für jedes Kind, dass eine Weight Watchers Tabelle an der Schlafzimmertür hat. Für jeden Mann, dem gesagt wurde, dass er sein Hemd wieder anziehen soll. Für jeden Tee, die sich fast zu Tode hungert, um eine Tigh Gap zu bekommen. Für jedes dünne Mädchen, dass man der Anorexie bezichtigt hat, und für jedes fette Mädchen, die man faul genannt hat.

Für jeden Menschen, die so lange zu einer Zahl herunterstarren, dass sie vergessen, aufzuschauen und die Welt zu sehen.

Für dich.

Suche dir deine Waffe aus.

Zertrümmere deine Waage.

Und mit ihr alle Verpflichtungen, Erwartungen und Schuldgefühle.“